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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
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Göhler, Georg: Wie gründet und leitet man Chorgesangvereine?
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0116
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Dresdner Volkssingakademie, die unter Iohannes Reicherts Leitung
nur Aufführungen von Mitgliedern der einfacheren Volksschichten
und nur für Mitglieder derselben Volksschichten veranstaltet, zeigt,
daß bei rechter Führung in allen Kreisen des Volkes das Bedürfnis
nach Selbsttätigkeit auf musikalischem Gebiete geweckt und gestillt
werden kann.

Noch sind sich die Staats- und Stadtverwaltungen über die
Wichtigkeit dieser Sache nicht überall klar. Gewiß gibt es Städte,
die, wie Leipzig, die künstlerischen Bestrebungen ihrer Ehorinstitute
aus Stiftungsmitteln fördern, aber das Beispiel hat noch wenig
Nachfolge geweckt. Nnd doch sind gute gemischte Chöre die Träger
der musikalischen Kultur einer Stadt. Sie zu unterstützen wäre
Pflicht jeder Stadtverwaltung. Wäre auch Pflicht und eine schöne
Aufgabe der deutschen Fürsten.

Es hat eine Residenz gegeben, wo in dem auf alles Gesellschaft-
liche verzichtenden Chorgesangverein neben der schlichten Näherin,
die nach ihrer Arbeit Erholung und Erhebung im Chorgesang suchte,
auch eine Prinzessin mitsang. Und wär's nicht schön, wenn überall
von der Musik gälte, was Bsethoven von der Freude singt:

„Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt;

Alle Menschen werden Brüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt!"

Georg Göhler

Lose Blätter

Aus Friedrich Huchs Dichtungen

sFünf Romane Friedrich Huchs liegen vor. Alle sind von dem gleichen
nicht wildleidenschaftlichen aber eindringlichen Temperament gefärbt. Auch
sonst stehen sie in einem innerlichen, ungewöhnlichen Zusammenhang. Zwei
davon, „Geschwistcr" und „Wandlungen", bilden eine einheitliche Dichtung,
so zwar, daß die zweite im allgemeinen nur den fesseln wird, der die erste
kennt. Sie glänzen matt in seltsam blassen Farben, die Linien der Charak-
teristik sind klar aber dünn wie auf Bleistiftporträts. Und die Handlungs-
weise der Gestalten bleibt anscheinend unerklärt; es ist als ob das Kausalge-
setz für sie nicht gerade aufgehoben, aber ein wenig gemildert wäre. Und
doch, wenn man nach dem Lesen zurückblickt, so ging alles unmittelbar aus
dem Wesen dieser triebhaften Menschenkinder hervor, die, durch ihr reiches
Besitztum von der Welt nnabhängig nnd ihr fremd, durch unübersteigliche
Schranken des eigenen Wesens auch einander gleichzeitig nahe, verwandt
und doch fremd sind.* Es licgt darin viel kunstvolle Arbeit, viel gärende
Leidenschaftlichkeit unter der Hülle gemessener Wohlerzogenheit, vicl zarte
Beobachtung in den sanften und in den tragischen Fügungen der Lebens-
wege. Aber weil sie vom sittlich-geistigen Bewußtsein cbenso cntfernt sind
wie von dem von Zwang bewegten Lebcn des Tages, erschließen sie sich nnr

* Man wolle zu diesen Bemerkungen den Nundschaubeitrag „Der
Fremde" in dicsem Hefte heranziehen. Kw.°L.

92 Kunstwart XXIII,
 
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