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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 13 (1. Aprilheft 1910)
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Böhm, Hans: Zur Lyrik der Gegenwart
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0028
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Bilderjagd, die Hyperbeln, der preziös gezierte Ausdruck, wir hatten
das alles schon wiederholt. Und genau so im Stofflichen. Die Lust
am Gräßlichen und Ekelhaften, an der Entstellung menschlicher und
heiliger Züge, — im Mittelalter wird sie in neuen Wunder- und
Martergeschichten religiös maskiert, in der Zeit des Schwulstes tritt
sie selbständig mit ästhetischen Ansprüchen auf. Die Ahnlichkeiten
ließen sich bis in Einzelnes hinein mehren.

Aber das Angeführte genügt zu einigen Folgerungen. Erstens:
diese Erscheinungen der Entartung sind offenbar notwendig; die heu-
tigen Künstler, die sie zeigen, handeln unter einer Gesetzmäßigkeit,
die heute wie in früheren Epochen um so deutlicher ist, als sie in
andern Ländern gleichfalls wirkt. Zweitens aber — auf Reaktion
folgt Gegenreaktion und auf Niedergang kann Aufgang solgen. Das
bedeutet: wir legen vor jener historischen Notwendigkeit mit nichten
die Hände ergeben in den Schoß, geschweige denn, daß wir sie vor
solchen Taten bewundernd falteten. Sondern wir streben nach Kräfti-
gung und Gesundheit, nach Ganzheit und nach tzarmonie nun erst
recht. Nnü wir sagen unsern modernsten und allermodernsten Lyrikern
dieses: „Meine tzerren, nur der Germanist der Zukunft wird von
Ihnen etwas wissen; im übrigen sind Ihre lyrischen Gedichte, lyrischen
Dramen, lyrischen Lrzählungen und lyrischen Essays Totgeburten und
nur Dünger für die Bäume einer späteren Zeit. Wenn's Ihnen also
möglich ist, so schreiben und schreien Sie etwas weniger; — aber es wird
Ihnen nicht möglich sein.« Nnd drittens sagen wir zu den Mißmutigen
und den Verwirrten unter den jungen Künstlern und den Lesern:
„Nicht verblüffen und nicht entmutigen lassen! Es ist gewiß ein
Nnglück, daß wir heute höchstens in der Architektur Größe unsrer eignen
Zeit, wahlverwandte, unmittelbar zwingende Größe erleben können.
Aber kann unsre Literatur aus Mangel an überragenden Persönlich-
keiten heute nicht groß sein, so kann sie wenigstens schlicht und tief,
mit einem Worte: echt werden. Den Weg zum tzerzeu haben auch
die schlimmsten Wogen der Unnatur nie für jeden Künstler ver-
schlemmen können, und wie aus dem auspruchsvollen Lärm des sieb-
zehnten Iahrhunderts nur ein paar Lieder von Gerhardt und Dach
übriggeblieben sind, so wird auch in Zukunft nicht Nerven und
Witz, sondern Herzblut einem Gedichte Leben und Dauer geben."

Hans Böhm

Lose Blätter

Aus dem „Dernetrios" und den Prosadichtungen
von Paul Ernst

fÄber die Tragödie, aus welcher wir im folgenden zwei Proben ab-
drucken, wolle man den Rundschaubeitrag „Weimarer Theater" nachlesen.
Ernst hat den vielbearbeiteten Stoff mit sichtlicher Energie dnrchdacht.
Sein Demetrios ist der letzte, frcilich illegitime, Sprößling dcr Hera-
kliden, der rcchtmäßigen, von dem Tyrannen Nabis gestürztcn Könige
Spartas. Seine Mutter, die Sklavin Tritäa, hat ihn vor dcn Söld-
nern des Nabis gerettet, und als einen Sklaven nanrens Pytheas auf-

jH Kunstwart XXIII, s3
 
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