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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Häfker, Hermann: Meine Herren Gastwirte!
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0433
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I Iahrg. 23 Zweites Iuniheft 1910 Heft 18

Meine Herren Gastwirte!

Kunstwart gibt ein „Reiseheft" heraus — wer ist auf der Reise
^Owichtiger als Sie? Ihnen also Gruß und Verbeugung zuvorl
^-^Die Sonne hat ihre goldenen Strickleitern wieder zur Erde herab-
gespannt, so daß man glaubt, man brauche nur aus der dumpfen
Stube zu treten, um ohne weiteres den Kletterweg in den Himmel
und sein Paradies zu finden. Diesem Verlangen rüsten wir uns zu
folgen, wir Tausende von neuenReisenden — bereit, die Straßen
unsers Vaterlandes und Ihre uns erwartenden Heime, meine Herren,
zu „überfluten". Denn wenn wir uns einmal mit dem Gedanken
vertraut gemacht haben, daß doch des Leibes Schwere auch im paradie»
sischen Sonnenglanze hier unten bleiben muß, so nehmen wir gern
in einem behaglichen Neste Platz, in dem es neben all dem Herr»
lichen von außen — Bäume, Felsen, Wälder, Wiesen, Sonne und
Luft — auch ein bequemes Ruhegestell für unsre natürliche Sitzein-
richtung gibt, sowie verspeis» und verschluckbare Teile der Natur,
die uns nicht minder wertvoll und schön scheinen, als die andern.

Wir neuen Reisenden! Haben Sie, meine Herrn Magen-
schmeichler und Seelenstreichler, von uns, die wir Sie so nahe angehen,
schon einmal gehört? Oder besser: uns schon einmal die Ehre des
Äber-uns-nachdenkens geschenkt? Ernstlich? „Offen gesprochen", es
war nicht weit her damit! Wir müssen nns erst nennen, um über-
haupt aus dem nebelhaften Dunst unsrer Anrede als greifbare Ge-
stalten vor Sie zu treten. Also, wir verbeugen uns nochmals: wir
sind die Wanderer vom silbernen Rad (Tretrad, Knallrad, Dreigeräder
und Viergeräder), wir sind ferner die „Liebhaber" aller Art, also nicht
nur die mit etwas menschlich Weiblichem, sondern auch die mit der
Kamera oder der Botanisiertrommel zur Seite, alsdann: wir sind
die Pfleger von Körperkraft und Körperschönheit, weiter: wir sind
die neuen Trinker, die nicht bei jeder Mahlzeit zum Dienst komman-
dierte Nntergebene des Alkohols sein wollen. Wir sind all die Iugend
mit den neuen Gedanken und den frischgewaschenen Augen und Ohren,
und sind die, welche die Schönheit suchen — aber auch schützen
wollen. Die Sinn für Volkseigenart und Volkskunst haben. Die
im Winter Bücher gelesen und Bilder betrachtet haben, um im Sommer
zu sehen, was wir den Büchern glauben. Kurz: wir sind alle
die, so, mit Hilfe der neuen Verkchrsmittel erst einmal ins Freie ge-
langt, nun eisenbahnflüchtig werden und wieder die Landstraßen und
die Fußwege bevölkern. Oder doch — bevölkern möchten. Nämlich:
wenn Sie, meine Herren Gastwirte, uns das durchzuführen ermög-
lichen.

Sie sollen von uns noch oft und viel und genaueres zu hören be-
kommen. Oh, wir haben die größten Rosinen im Kopfe, wir er-
blicken eine Zukunft des Reisens, eine wahrhaft raffinierte Kunst
des Wanderns vor uns, die wir ausbauen wollen. Wir selber
sprechen gern von diesen Dingen, nicht nur weil wir's erbaulich finden,

2. Iuniheft WO 253
 
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