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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 13 (1. Aprilheft 1910)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0049
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und einer sprudelte ihr unvermutet ins Gesicht, daß sie schnell losließ
und sich lachend mit dem Handrücken über die nasse Wange fuhr.

Da stand plötzlich in einem Sonnenstrahl, der schräg dnrch das Laub-
dach herabfiel, über dem sonnengefleckten Spiegel des Beckens eine Wasser-
jungfer, hielt sich in der Luft mit gläsernen Flügeln und starrte in des
Mädchens fröhliches Gesicht; die war nun ganz ruhig und unbewegt
und betrachtete das zierliche Wesen, wie es sich blitzend und funkelnd in
dem sonnigen Strahl hielt, den feine Stäubchen durchtanzten; eine Weile
war nun das Nauschen des Quells, und plötzlich vergaß Herr Aeinrich
das, und schien es ihm ganz still, daß er meinte, er könne das leise Surren
der durchscheinenden Flügel hören; mit einem Male aber geschah es, daß
sein Herz ganz laut klopfte, wie er noch nie verspürt, und war ihm, als
müsse das Mädchen das Klopfen hören; da schämte er sich, daß er ge-
lauscht hatte, und wollte leise fortschleichen; aber sie hörte das Geräusch,
blickte nach seiner Stelle hin und sah wohl zwar nichts von ihm, aber
in dem Gedanken an einen Lauscher zog eine feine Röte über ihre Stirn,
Wangen und Hals, die sich lieblich abzirkelte von dem übrigen Weiß.

Rundschau

Zwei Geschichtchen von
Kindern — zum Nachden-
ken

1. Nichts tut's nun einmal nicht!

ltern, die ihre Kinder außerhalb
der kirchlicheu Formen erzichen,
vertrauen sie während einer Ferien-
reise der Obhut einer alten strcng-
gläubigen Wärterin Anna. Als die
Mutter am Abend nach ihrer Rück-
kehr ihre beiden Knaben — von
sechs und vier Iahren — zu Bette
bringt, legt der Kleinere zu ihrer
Aberraschung die Händchen zusam-
men, betend:

„Lieber Heiland, mach mich fromm,
Daß ich zu dir in den Himmel

komm!«

Der Erstgeborne bemerkt dazu,
überlcgen lächelnd: „Aber du, was
fällt dir denn ein? Das sagt man
doch bloß für die Anna!" Der Kleine
abcr betet am andern Abend wieder
nnd fordert dcn Bruder auf, es
auch zu tun. „Nein," erwidert der
Große, „ich bete nichts mehr, was
mir und der Mutter nicht paßt."
— Diese fragt ihren Ältesten später

allein, warum denn dies Gebet
„nicht passe". „Weil ich ja doch
gar nicht zum Heiland will, Mut-
ter." — „Nicht zum Heiland, von
dcm ich dir doch so viel Liebes er°
zählt habe?" „Aber ich will doch
leben. Wer zum Heiland will, muß
ja gestorben sein." „Leute, die
Annas Gebet sprechcn, deuken eben
voraus, bis ans Ende ihres Lcbens."
„Ich bin aber am Anfang — und
ich will beten von jetzt, lebendig
beten will ich. — Mach dn mir
so ein Gebet!"

Das bettelt er nun jeden Abend,
bis der Mutter schließlich in ihrer
Not diese Verse zu Sinne kommen:
„Die Nacht mit grauen Schleiern
Deckt sanft das müde Lmrd —
Wir wollen Abend feiern,

Gib, Mutter, mir die Hand!

Des Tages laß uns denken:

Hab ich getan, was recht?

Sahst niemand du mich kränken?
War all mein Wesen echt?

Wie liebe Augen schauen
Die Sterne mild herein.

Euch will ich mich vertraucn,
Euch will ich stille sein.

j. Aprilheft lM

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