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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0510
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Vollkommnung, Trieb nach Ver-
besserung gehen daraus hervor und
die edle Betriebsamkeit, das aus-

wärts gesehene Gute in die Heimat
zu verpflanzen.

Friedrich Ludwig Iahn

r

lnsre Bilder und Noten

Hellwags „Blick aufs Meer", den der Steindruck vor
unscrm Hefte wiedergibt, ist kein Werk, bei welchem irgendwie

^ ^auf seine Rechnung käme, wer in unserm „Zeitalter der Deutlich-
keit" auch die Malerei als Illustrationsmittel zu möglichst scharfer Orts--
beschreibung auffaßte. Das tun bekanntlich immer noch viele Leute,
und so sehen sie ganz im cigentlichen Sinn auf echten Kunstwerken den
Wald vor Bäumcn nicht. In Hellwags Bild ist das alte Nest mit
seinem Aormannenturm nicht ortskundlich beschrieben, es taucht in das
Bewußtsein des Genießenden nur, wie ern Motiv aus alten Zeiten in
das Ganze eincs Liedes taucht. Auch die Küstenlandschaft ist uns nicht
„klargemacht", wie sich für eine Geographiestunde gehören würde. Aber
mit dem großzügigen Hinlegen dessen, was dem Maler wescntlich war,
überträgt er auf uns Beschauer selbst, sobald wir uns eingefühlt haben,
sein eignes großzügiges Empfinden dieses Stücks Natur, in dem wie
der Ton im Akkord alles einzelne aufgeht. Eine Menge Assoziationen
weben um Land, See und leuchtende Luft; abcr wie die Farben mit
all ihrer Schönheit zu einer koloristischen Symphonie zusammenklingcn,
die fast entstofflicht scheint, so leuchtet auch all jenes Poetische nur wie
Lichtschleiergebilde durch das Werk. Wir wünschen recht vielen Reisen-
den, auch die Natur so sehen zu können.

Sie sind dann nicht mehr weit von jenem Augenblick, da sie sich
ihnen auch mit Gestaltcn füllt, die „wochentags" keiner sieht — wie
einem Böcklin und Thoma. Hans Thomas Frühlingsbild vom Berg-
see ist solch eine Schöpfung echter Naturpoesie. Wer in den Alpen
gelebt hat, der kennt die wunderbaren Tage, da der Zauberer Föhu im
Frühling alleuthalben zu spüren ist. Man braucht nichts weitcr als
ein Sonntagskind zu sein, um ihn dann auch zu sehu, den Wuirder-
jüngling voll Schönheit, Sehnen, Glück und Liebe, der auf der Kreatur
daherzieht und das Wiedersichverjüngen des Lebens selber ist, das nun
durch alles und so durch nnsre eignen Adern als Gedanken und Träume,
als Wecken und Schaffen zicht.

Auch der viel zu früh verstorbenen Emilie Pelikan Hochalpen-
bild ist Bild im Geist, nicht bloß Abschein im Auge. Unsre sarbige
Reproduktion leidet darunter, daß das umfängliche Gemälde auf kleinen
Raum gebracht werdcn mußte: da mußten die vier Platten die Fülle
der Farben zusammenzwängen zu Mischtönen, bis statt des leuchtenden
Geflimmers von Einzellebendigem zahme koloristischc Kompromisse ent-
standen. Man denke sich das Original als halbwandgroßes Werk, das
ist hier wesentlich, wenn sich die Vorstellung auch seine innere Größe gut
nachbilden soll. Das Größengefühl von dieser Gletscherwelt, die in er-
hobener Majestät sich droben weitet, in ihrem reglosen großen Schweigen
erhaben über Lebcn und Tod, und doch der hundert Ouellen Mutter-
schoß, die tausendfach Leben in die Täler rieseln, so das; im Hochtale
schon das Blühen in breiten Wiesen schicr überherrlich beginnt.

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