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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Den Germanen im Norden
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0267
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Iahrg. 23 Zweitcs Maihest ISlO Hest 16

Den Germanen im Norden

entbieten an ihres großen Toten Bahre wir Deutschen unsern Gruß.
Ihrer war er, weil er nicht nur i n, weil er aus ihrem Lande und
Volke geboren ward, und für sein Land und Volk vor allen andern mit
einer Kraft des Erlebens und Lebenschaffens ohnegleichen gelebt hat.
Aber er war auch unser, denn wieviel näher ihr ichm standet als wir,
außerhalb eurer Länder sind doch die Männer und Frauen keines
Volkes ihm so nahe wie die Deutschen getreten. Ihm, wie den Ver--
wandten seines Geistes, deren Licht wir in euren Ländern mit immer
neuen Sternen aufgehen sahen, staunend und bewundernd, neidlos
und endlich mit einem stillen und lauten Iubel, der, jetzt beschleunigt,
jetzt zögernd, wuchs, wie wir mehr und mehr im Fremden das Brüder--
liche erkannten.

Wir buhlen nicht, wir werben nicht einmal um eure Liebe. Wie
wir Deutschen Sonderbrödler sind, so seid ihr's, und wie wir als
einzelne es sind, so sind wir's als Völker, wir alle, wir Germanen,
immer zunächst weit eher geneigt, zu sehn, was im andern anders ist
und was uns an ihm nicht gefällt. Wir Deutschen verstehen zudem
besonders leicht, wieviel euch an uns nicht paßt und was euch bei
uns nicht schmeckt, denn eine Menge davon paßt und schmeckt uns
selber nicht. Uns unter den Deutschen, die wir nicht in Massen--
erfolgen einer Massenmacht an sich schon die größten Leistungen der
Kultur sehn. Aber ihr wißt auch, daß zwischen dem Deutschtum des
Massenrauschs, der Phrase und der Dekoration ein Deutschtum der
geistigen Kraft nicht nur gelebt hat und euer Lehrer gleich unserm
eigenen gewesen ist, sondern auch noch lebt. Unterschätzt es nicht,
es hat das Blut derer in den Adern, die auch ihr liebt und ehrt, und
es stärkt und strafft sich mit jedem Iahr. Dann bedenkt: wenn das Er-
ringen und Erhalten äußerer wirtschaftlicher Macht nicht ohne Kämpfe,
nicht ohne Verluste an innerem Gut, nicht ohne Widerlichkeiten mög-
lich war: die Kraft im Arme der Masse kann dem Gedanken dienen, in-
dem sie den jungen pflegt und schützt, den lernenden und wandernden
fördert und dem großgewachsenen, der bebauen soll, Vollzieherin
seiner Befehle wird. Wir wollen so wenig wie ihr ein Pangermanen-

tum, das das Eigenleben der Menschen in uns, der Völker um uns
nach ein paar Modellen uniformieren will. Aber wir wollen die
Fülle Denkender und Fühlender, die deutsch sprechen, zu Pflegern
und Trägern auch eurer Kultur machen, soweit sie nicht nur Heimats-
kultur allein, sondern germanische Kultur überhaupt ist.

Es ist nicht einer, der bei uns so denkt, so denken in Deutschland
schon viele Tausende. Wir haben, wie ihr, uns auch der Romanen
und Slawen gefreut, und von ihnen gelernt, und wollen das weiter

tun. Was sie uns geben konnten, war viel, aber zumeist blieb es
Kenntnis oder Bild, Schönheit oder Gedanke. Oder ein Anregen,
ja, doch eins, bei dem wir immer empfanden: es kommt von außen
her. Nur in den besten der andern Germanen fühlen wir als

2. Maiheft iM 2,7
 
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