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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 15 (1. Maiheft 1910)
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Riedner, Wolfgang: Vom Hahnengeschrei
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Langen, Gustav: Christliche Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0192
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Von der überaus großzügigen Nichtbeachtung der deutschen Künste
bei der französischen Presse soll hier nicht weiter die Rede sein.
Aber man achte einmal vier Wochen lang darauf, wie oft im unpoliti-
schen Teil der deutschen Zeitungen Pariser Angelegenheiten behan-
delt werden und wie oft Angelegenheiten andrer tzauptstädte oder
Staaten. Man wird finden, daß wenigstens in Berliner Blättern
von Paris mehr geschwatzt wird als von London, Rom, Madrid,
Petersburg und München, Dresden, Stuttgart, Hamburg zusammen.
Für Pariser Sensationen braucht der Gehalt an „Sensationellem"
nicht einmal groß zu fein,- die tzerkunft vom Seinestrand an sich
muß oft der Sensation bestes Teil bilden. Äber Pariser Theater- und
Konzertveranstaltungen wird von einigen deutschen Tageszeitungen
genau so gewissenhaft von Fall zu Fall berichtet, wie über die berlini-
schen. Die Namen der Pariser Kunstinstitute, Lokalberühmtheiten,
Hauptstraßen und Restaurants werden mit vertraulicher Geste als
selbstverständlich-bekannt vorausgesetzt. In Summa: ein gut Teil
unsrer Zeitungsschreiberei macht sich's zur Pflicht, zu tanzen, wie
im Westen — der Hahn kräht.

Es gibt Pressevereine, Schriftstellervereine, Verlegervereine genug.
Bei den verschiedenen „Tagen", die auch diesen Sommer nicht aus-
bleiben werden, sollte man, zwischen den verschiedenen Liebesmählern,
die Frage der gallischen Sensationen ein bißchen ernsthaft zu beant-
worten suchen. Es ist eine Frage immer noch von „Prima"-Aktuali-
tät. Der Krähhahn an der Seine hat mit Chanteclers Ende noch lange
nicht sein — sii vsnia vsrbo! — Schwanenlied gesungen. Nnd schließ-
lich: müssen wir nicht in diesem ZLllus ALlIieus das klassische Sinnbild
der Sensationslust anerkennen — und treffen?!

Wolfgang Riedner

Christliche Kunft

Savonarola vergaß, datz das, was die Mcnschen am
meiltcn zwingt und bildet, nicht der bewutzte Gehorsam, der
hestig unterdrückte tzang zum Bösen ... sondern daß das
unbewußte Aufnehmen cines frcundlichen Beispiels, das lcise
Nachgeben, wenn das Gutc und Schöne mitss lockender
Stimme redet ... die Mächte eigeutlich stnd, die die Mensch-
heit geheimnisvoll aber sicher weitersühren. Und so habcn
Fiesoles sanstc stumme Bilder mchr getan, als Savonarolas
Donner, die beinahe spurlos verhallten.

lherman Grimm, „Michclangclo")

ir verdanken denAusstellungen im allgemeinen, die sich heutc,
>>U Mals eine Frucht des vergangenen Iahrhunderts, mit immer
neuem Inhalt auftun, eine Fülle von Anregung. Nm einen
Grundgedanken, um ein von der Ausstellungsleitung gestelltes Thema,
kristallisiert sich alles irgendwie Verwandte; wir gewinnen Freiheit
des Nrteils, Äberblick, und belehrend gesellt sich uns der Vater des
Gedankens, der Vergleich. Nach dem ersten Eindruck taucht dann
endlich aus der verwirrenden Fülle ein Ganzes hervor: Ein Kopf:
Rembrandt, Menzel, Dürer oder der Geist eines vergangenen Iahr-
hunderts, ein Volk oder ein bedeutender Zweig menschlicher Tätigkeit.
Dieses große Ganze ist dsr Gesamteindruck, den wir von einer guten

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