Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1910)
DOI Artikel:
Langen, Gustav: Christliche Kunst, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0193
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ausstellung mit nach Hause nehmen, und ist immer etwas Neues.
Es ist gewachsen aus vielen Beobachtungen, wie ein Organismus aus
tausend Linzelzellen und hat doch ein Nervensystem, ein Leben,
ein großes schlagendes Herz: Es ist eine neue Vorstellung in uns
wach geworden.

Bei der vorjährigen Ausstellung für christlichs Kunst in Düsseldorf
blieb, nachdem alle Linzelerinnerungen sich aufgelöst hatten, alle
Beisätze niedergeschmolzen waren, die eine klare Äberzeugung: daß
wir tiefer, als wir dachten, in einer christlichen Kultur leben, daß
wir auch jetzt noch, wir mögen wollen oder nicht, mit vielen Wurzeln
in einem christlich durchtränkten Boden stehen. Trotz aller antiken
uud asiatischen „Einflüsse" ist der Grundstrom unseres Daseins und
Fühlens christlich gefärbt und gerade unsere modernste Kunst beweist,
daß wir mit unserem Besten über die christlich-germanische Kunst des
Mittelalters einstweilen nicht hinausgekommen sind. Diese Weichheit
und Ruhe der Verhältnisse, des Ornaments, der Farben, diese Stoffe,
Metallarbeiten, Holzschnitzereien, Glasfenster, Skulpturen, Mosaiken,
Emails und Marmorintarsien wirkten gut, und das Neue war in
dem Maße gut, als es sich den alten Vorbildern näherte.

Gerade jetzt, wo wir uns um eine christliche Kunst bemühen, ja,
wo das Problem „christliche Kunst" uns eigentlich erst bewußt
wird, entdecken wir, daß da in den Iahrhunderten vor uns etwas ge-
worden war und gewesen ist, das unbewußt die gewaltige Arbeit ge-
leistet und gelöst hat, christliches Leben in schöner Form zu bilden und
zu bergen.

Wir müssen die Gesetze jenes Schaffens in uns wirken lassen,
wenn wir auch heute wieder zu einer christlichen Kunst gelangen wollen.

Was sind diese Gesetze und was ist denn eigentlich „christliche
Kunst" ?

Betreten wir im Geiste noch einmal die Ausstellungsräume mit
ihren Gemälden, Plastiken, ihren kunstgewerblichen und architektoni-
schen Arbeiten, so finden wir viel peinlich Gewolltes, das weder
christlich, noch Kunst, noch weniger aber christliche Kunst ist.

Von dem Nnkünstlerischen wollen wir schweigen. Nichts ist pein-
licher, als sehen zu müssen, wie das religiöse Gefühl, das auch im
niedrigsten Menschen heilig ist, durch Fabrikation geschäftlich aus-
gebeutet wird. Solange die christlichen Wandsprüche und Bilder-
chen, Konfirmationsartikel und Begräbnisfabrikate, himmelbläulich-
rosafarbeneu Heiligen und grellgelben Ampeln mit Basardekor in
den Schaufenstern christlicher Buch- und Kunsthandlungen zu sehen
sind, solange Backstein- oder Putzgotik als die allein angemessene
Architektur sür christliche Hospize, Vereinshäuser oder Kirchen gilt, so-
lange in den schönsten Kirchen des heiligcn Külns grünlich-weiße Gas-
glühkörper blenden, solange wird trotz aller Bemühungen die Barbarei
in fast allen Kirchen und frommen tzäusern Siegerin bleiben.

Die Kirche ist bekanntlich nicht nur im guten Sinne die konser-
vativstc Einrichtung auf Erden. Ein Vierteljahrhundert erst, nach-
dem in Deutschland der frische Wind der neuen Kunstbewegung sich
erhob, beginnt er nun endlich auch die dumpfen Kirchenräume durch-
zulüften. Die Eröffnung der Ausstellung für christliche Kunst war

t- Maiheft WO löst
 
Annotationen