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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0117
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liebevollem Linfühlen in ihre eigene, aristokratische Welt. Ist Fremdheit
in ihnen die Luft, das Medium, durch das alles gesprochen und geschaut
wird, so bildet sie in den drei andern Romanen die Eigenart der eigent-
lichen Träger der Handlung. Huchs „Peter Michel" wurde vor Iahren
im Kunstwart (XV, (5) mit hohem Lobe genannt. Dieser Peter ist ein
Träumer, der als Banernbub heranwächst, von der eigenen braven doch
grob empfindenden Mutter unverstanden, geliebt eigentlich nur von seinem
Vater. Er kommt dann in cine Pension und lebt behaglich, mit
nur geringer, mehr gefühlmäßiger als handelnder Teilnahme. Er studiert
und gerät mit Kameraden in Konflikt, die ihn mißverstehen. Allmählich
läßt ihn der Dichter dann im Philisterium versinken. Es ist wie eine
grausame Züchtigung, die er dem anfänglich sympathischen Eharaktcr
crtcilt, der doch nicht gefestigt war, ein eigenes Leben zu führen. Meister--
lich sind die spießbürgerlichen Gestalten wiedergegeben, die ihn langsam
in ihr Milieu ziehen, düster, befrcmdlich schmerzhaft klingt die Dichtung
in ironischem Pathos aus, in eincr Szene, wo eine lebensstarke, ein wenig
dirnenhafts Freundin den glücklich verehelichten Oberlehrer Michel besucht
und sich lächelnd von seinem Wohlstand überzeugt.

„Mao" ist der Roman eines Kindes. Einsam wächst dieser kleine
Thomas heran, voll von zarten Phantasien, mit denen er das alte, ge-
räumige, düstere Haus der Familie belebt, den Garten erfüllt und —
seine Seelc vom Tage, vom Leben der Eltern, Schwestern, Gespielen fern-
hält. Niemand kann in dcn Kreis seines reinen und an Anbetung und
Hingabe für unbekannte Götter reichen Innenlebens eindringen. Die kräftige
Hand des Vaters zwingt ihn zu Arbeit und „Lebensernst", aber unter
der Außenfläche seines Daseins wirken die geheimen Vorstellungen weiter.
Seine lustige Schwester spottet ihn aus, der Vater zürnt; nur die Mutter
sieht mit Liebe und Angst zugleich auf ihn. Er ist dem alten Hause ver-
schrieben, mit Inbrunst hängt er an einem kleinen, alten Knabenbild,
das er als den Geist des Hauses verehrt, liebt, anbetet („Mao"). Ilnd er
findet sein Ende, da die Familie das Haus zerstört und in ein neues
zieht, in den Lrümmern des alten. Ohne Pathos, ohne Rausch, nur
unter dem Gesetz des eigenen Wesens stehend, geht er in den Tod. Und
wieder hat eine Meisterhand über diesem verwunderlichen Buche ge°
waltet. Die wohlgeformten, klingenden Sätze, die leise, heitere und ein-
dringliche Charakteristik, die Leben und Traum durch zarte Abergänge
verbindet, die Gegensätze des „normalen" Wesens dcr Eltern zu dem
Knaben, das fast gänzliche Fehlen der direkten Rede, wozu dann die
wenigen starken Ausbrüche um so lebhaftcr im Gegcnsatz stehen, — dies
alles ist mit Liebe, mit Kunst und Kunstverstand durchgearbeitet.

In völliger Neinheit, mit seiner ganzen Gefühlswelt und der Tragik
dcs unbedingt Einsamen, hat Huch den „Fremden" dann in „Pitt und
Fox" gefaßt. „Pitt war cs gleichgültig wie er hieß." Das ist der
dritte Satz dcs Werkes. Und noch ganz im Anfang heißt es: „Pitt
war jeder Lärm ein Greuel. Er hielt seine Fenster zumeist verschlossen
und trug zu haus fast immer Filzpantoffeln. Ein eigentliches Zimmer
für sich besaß er nicht; er wcchselte stets. Sowie er anfing sich gemüt-
lich zu fühlen, glaubte er irgendeinen Mißstand zu entdecken. Frau
Sintrup (Pitts Mutter) gab dann mit gleichmütiger Stimme dem Mäd-
chen die Anweisung, sein Bett irgendwo anders hinzuschaffen; einen

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