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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
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Göhler, Georg: Wie gründet und leitet man Chorgesangvereine?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0115
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Kunstinstitute am leistungsfähigsten. Hier führt ja lediglich das Ver°
langen, der Kunst zu dienen, die Sänger zusammen, und ernsteste
Arbeit an einer großen Aufgabe ist das eigentliche Glück aller Mit-
wirkenden.

Am häufigsten wird die Gründung eines derartigen Chors von
einem Kirchengesangverein ausgehen können. Hier finden sich An-
gehörige verschiedenster Gesellschaftsklassen zusammen, die bei den
Aufgaben, wie sie die künstlerische Ausgestaltung des Gottesdienstes
fordert, sich ohne weiteres an gewissenhafte, strenge Arbeit, an solides
Studium, an Kunstpflege gewöhnen, die keine Zerstreuung duldet.

Am daseinsfähigsten sind diese Institute zweifellos in großen
Städten. Hier schließen sich Angehörige verschiedener Gesellschafts-
klassen am ehesten zusammen, ohne daß die kleinlichen Bedenken,
die in Kleinstädten künstlerisches Arbeiten oft erschweren, sich so
stark geltend machen. Aber es gibt genug Beispiele, daß starke
künstlerische Persönlichkeiten es auch in kleinen Städten fertig-
bringen, solche reine Kunstinstitute zu gründen und am Leben zu
erhalten. Klugheit und Takt, guter Wille und ehrliche Begeisterung
für die Kunst helfen über mancherlei Schwierigkeiten hinweg. Gut
ist's, den Anfang hier etwa mit einer Gelegenheitsaufführung zu
machen, die die gesellschaftlichen Unterschiede sowieso zurücktreten
läßt, das heißt etwa für ein Stadtjubiläum oder die Gedenkfeier
für einen großen Künstler oder für ein sonstiges Fest die Leute zu
einem einmaligen gemeinsamen Arbeiten an einem Chorwerk zu
sammcln. Danach kann zur Schaffung einer dauernden Organisation
zur Pflege gemischten Chorgesangs aufgerufen werden. Beachtet man
dann trotzdem die zu Anfang gegebene Lehre, den Chor sich ruhig
entwickeln zu lassen, nicht gleich Großes zu wollen, was man noch
nicht leisten kann, sich allmählich zu bilden, so wird man gewiß
überall bei einigermaßen gutem Willen gute Erfolge erzielen.

Sind auch die höchsten Aufgaben, die diesen Vereinen zufallen
(Bachs und Beethovens Messen, Beethovens Neunte) lieber außer
Spiel zu lassen, wo nicht wirklich langjährige Schulung die Möglich-
keit künstlerischer Wiedergabe gewährleistet, so bleiben doch neben
Händel, der das und 0 aller Chorvereine sein sollte, neben den
Klassikern und Romantikern in Liszts und der neuesten Chor-Kom-
ponisten Werken eine Menge großer, schöner Aufgaben.

Aberhaupt ist es ja die Fülle von Werken höchsten Kunstwerts,
die dem gemischten Chorgesang so unendliche Bedeutung gibt. Ein
Chorverein kann jahrzehntelang eine Menge Konzerte geben und
immer Neues aufführen, ohne jemals zu schwachen Werken greifen
zu müssen. Die Literatur ist unerschöpflich. Darum sollte es in
allen deutschen Städten Institute geben, die immer wieder aus diesem
Iungbrunnen der Kunst schöpfen. Darum sollten sich überall aus
allen Kreisen die, denen die Kunst aus der Not des Alltags heraus-
helfen kann, dazu drängen, in diese ewig jungen Werke gründlich
einzudringen und sie durch ihre lebendigen, singenden Stimmen
andern wieder lebendig zu machen.

Es gibt ja erfreulicherweise selbst unter den schlichtesten Arbeitern
viele, die aus innerem Bedürfnis zu solcher Kunst kommen. Die

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