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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 13 (1. Aprilheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0092
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des Lehrers für die Aufrechterhal-
tung der Orduung und die Be--
strafung der ^unsozialen Elemente"
sorgen, hat in Amerika sehr be°
friedigende Ergebnisse gezeitigt.
Förster sieht mehr als einen Vor-
teil mit dieser Einrichtung ver-
bunden. Er macht darauf auf-
merksam, daß sich gerade in dem
Alter unsrer Mittelschüler ein aus-
gesprochener Sinn für Organisa-
tion, für soziale Aber- und Unter-
ordnung, für Zusammenschluß und
gesellschaftliche Disziplin entwickelt
— wird er von der Schule nicht ge-
pflegt oder gar unterdrückt, so sucht
er leicht in Banden- und Ver-
bindungswesen Ausfluß. Die
Führernaturen, die ja in regsamen
Klassen mit gutem Material nie
fehlen, werden dann, da sie nicht
innerhalb der Schulorganisation
Gelegenheit zur Betätigung ihrer
Lalente finden, zu Feinden der
Ordnung und der Schule. Der
Einfluß, den sie in diesem übeln
Sinne oft genug ausüben, könnte
durch zweckmäßige Verwendung und
taktvolle Leitung ihrer Anlagen
recht wohl zugunsten der Schule
dienstbar gemacht werden. O.
Kaemmel hat das kürzlich hier
im Kunstwart angedeutet, wie ein
taktvoller Lehrer seine Vorzugs-
schüler nicht so sehr zu seinen
servilen Werkzeugen als vielmehr
zu Vermittlern zwischen ihm und
der Klasse heranbildet, also in
gewissem Sinne auch zu Ver-
tretern der Schüler. Förster weist
darauf hin, wie wenig das fast
überall in der Schule herrschende
Verhältnis der Schüler zum Lehrer
und zur Schulordnung dem Zu°
schnitt des heutigen Lebens ent-
spricht. Meist herrscht in der
Schule der Zustand bedingungs-
loser und baher nicht selten
nur äußerlicher Anterordnung, ein
Zustand, der dann, wenn die

Schüler ins Leben hinaustreten,
außerhalb der Schule selten eine
Fortsetzung findet. Wer aber nicht
vernünftig gehorchen gelernt hat,
versteht auch nicht richtig zu be-
fehlen: für die despotische Gebun-
denheit in der Schule rächt sich
der entlassene Schüler oft genug
durch tyrannisches Gebaren in der
Praxis, wo er nur Gelegenheit
findet. Es wird ihm auf keine
Weise jene sichere und in sich
selbst gegründete Haltung anerzo-
gen, die er doch im wirtschaft-
lichen und sozialen Leben so not-
wendig braucht und die seine erste
staatsbürgerliche Tugend bedeuten
sollte: jene Haltung, die persönliche
Freiheit und soziale Gebundenheit
an der rechten Stelle und zur rech-
ten Gelegenheit betont und harmo-
nisch vereint. Und die letzten Endes
doch immer nur aus dem lebendigen
Gefühl der Selbstverantwort-
lichkeit herauswächst.

Um solche Gesinnung zu pfle-
gen, kann schon der einzelne Lehrer
viel erreichen, wenn er innerhalb
seines persönlichen Wirkungskreises
taktvoll und mit Vermeidung der
Gefahren, mit sicherer Kenntnis
seines Materials das Verhältnis
der Schüler zur Schule nicht ab°
solut, sondern bis zu einem ge»
wissen Grade konstitutionell ge-
staltet. Aber der Geist der ganzen
Schule sollte ihn unterstützen. Die
Organisation von Schülervertretun-
gen hat sich in einigen rheinischen
Gymnasien, die Förster zum Be°
weise anführt, sehr günstig bewährt.
Iedenfalls verdient die Frage eine
allgemeinere Beachtung von seiten
der praktischen Pädagogik. Rnd
zwar vor allem im Interesse der
staatsbürgerlichen Erziehung, die
ja, im Sinne Kerschensteiners und
auch Försters aufgefaßt, sich mit
der Lrziehung zur Persönlichkeit
deckt. U

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