Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0152
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Entrücktheit gegenstandsloser Musik.
Die höchste Wirkung in seiner ab-
kürzenden, nur andeutenden Knnst
erreicht Whistler vielleicht in sei-
nen Radiernngen, die das Raffi-
nierteste an Einfachheit sind, was
man sich nur denken kann. Immer
nur ganz wenige ausgesuchte Linien,
Punkte, Silhouetten, in deren Wir-
kung das Weiß des Papieres mit
überlegtester Kunst hineingerech-
net ist.

Neben Whistler kommen die an-
dern auch uns längst vertrauten
amerikanischen Maler von höherer
Qualität nicht immer zur besten
Wirkung. Am meisten noch W.
M. Lhase, der mit großem Glück
seine münchnerisch nicht ganz
„saucenfreie" Palette an Velazquez
geadelt hat. Sein Fischestilleben so-
wohl wie seine schwarze Dame mit
weißem Schal zeigen bei äußerer
Sparsamkeit einen innern Reich-
tum, der — allerdings nicht sehr
amerikanisch erscheint. Gari Mel--
chers, der Düsseldorf, Paris und
Holland so gut seine Heimat nennt
wie Amerika, ist mit einer schönen,
holländisch farbenfrohen Madonna
im Grünen vertreten und einer
Mutter mit Kind voll freien inne-
ren Lebens. Dagegen ist sein Por-
trät Roosevelts psychologisch wie
malerisch recht belanglos. Von
Sargent gibt's nur zwei Her-
renbildnisse aus früherer Zeit, die
diesen Künstler zwar nicht ganz re-
präsentieren, aber sehr sympathisch
sind, da sie noch gar nichts von der
schon ein wenig virtuosenhaften Art
des späteren Sargent zeigen.

Die Landschaster nehmen, wie das
ja bei der Abhängigkeit der ameri-
kanischen Kunst von der modernen
Malerei Europas natürlich ist,
einen breiten Naum ein. Die ältere
Generation importiert ihre Kunst
aus Düsseldorf und dann aus Bar-
bizon und bringt oft nur einen recht

flauen zweiten Aufguß, der mehr
eine sentimentale Formel als star-
kes Erlebnis ist. Feiner vom Blut
des Lrlebens durchdrungen sind die
Modernen, die Schüler der franzö-
sischen Impressionistcn, obwohl ihre
äußere Abhängigkeit von ihren Leh-
rcrn oft recht, recht weit geht. Wenn
man nie einen Monet gesehen hätte,
würde jedenfalls das Entzücken an
den luftvoll zarten Bildern der
Robinson und Hassam noch
viel stärker sein. Der erste hat neben
seinen Landschaften auch ein In°
terieur, „Dame am Piano", das in
seiner feinen, leichten, intimen
Raumstimmung reicher und freier
wirkt als die beiden Interieurbilder
von Tarbell, der sich in seinem
schön gestimmten silbrigen Luftton
noch etwas schülerhaft ängstlich au
Vermeer hält. N. W. Vonnoh
gibt in seinem Novembergarten mit
der graulilafarbenen Luft vor den
hellen Häuserwänden zugleich die
Milde und die leise Herbigkeit dieser
letzten Herbsttage. Auch Metcalfs
„Felder im Frühjahr" mit dem Duft
der jungen Erde und sein „Zittern-
des Laub" lebeu ganz in dem zar-
ten farbigen Licht Monetschcr Kunst.
Am eigensten hat sich noch Twacht-
man aus dieser Schule entwickelt,
der sich in der schwebenden Luft
eine ungewöhnlich ruhige, durchsich-
tige Klarheit und Einprägsamkeit
der Perspektive bewahrt in seinen
Winter- und Frühlingsbildern.
Alle diese modernen Landschaften
der Ausstellung zeigen eine beträcht-
liche künstlerische Kultur und recht
viel Lalent. Viel Licht, ja — aber
doch nirgendwo der Blitz eines
Genies, der Zauber eines wirklich
originalen Geistes!

Originalität und Kraft, das ist's,
was man an der Kunst der Ameri-
kaner vcrmißt. Wcr bei der „Na-
tion in Hemdärmeln" auch eine
Kunst in Hemdärmeln sucht, erlebt

j28 Kunstwart XXIII, R
 
Annotationen