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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 15 (1. Maiheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0218
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man's, so verzichtete man auf das
schärfste Licht, das über diesen Iam-
mer aufklären kann, wenn es
auch den Augen weh tut. Denn da-
mit, daß — hoffentlich — die Mah-
schen Bücher aus allen Schul- und
Volksbüchereien nun endlich weg-
gefegt werden, werden wir vor Wie-
derholungen nicht geschützt.

Woran fehlt es bei uns? Nie ist
schlagender als durch den Fall May
die Bedeutung der Ausdrucks-
kultur bewiesen worden. Nicht
bloß wir vom Kunstwart, sondern
auch andre Männer ganz verschiede-
ner politischer, konfessioneller, ästhe-
tischer Richtungen haben, seit sie
Mahs Schriften kennen lernten,
eindringlich vor ihm gewarnt.* Wo-
her kommt es denn, daß sie, ohne
von Mays Unsittlichkeiten, Ber-
gehen und Verbrechen zu wisscn,
vom ersten Anfang an das Gemachte
und das Anechte in seinen Schriften
empfanden, das Verlogene und Nn-
sittliche, wo die große Mehrheit bis

* Weil Mah die literarische Bau-
ernfängerei besonders unter den Ka-
tholiken betrieben hat, sei ausdrück-
lich daran erinnert, daß sich unter den
Warnern vor ihm seitlangerZeitauch
gerade Katholiken befanden. Bis zu
wie kaum faßlichem Grade ihm die
Betörung gelang, davon mögen an-
derseits ein paar Sätze zeugen, die
noch kürzlich eine der wichtigsten
katholischen Zeitungen Süddeutsch-
lands brachte. Nach neuerlicher Er-
innernng daran, daß Mah von
hohen katholischen Würdenträgern
warm empfohlen worden ist, hieß
es da: „Besäßen unsere Gegner
emen Mann, der ihnen und der
von ihnen vertretenen Sache so her-
vorragende Dienste geleistet hätte,
wie Karl May sie dem Christen-
tum und der christlichen Sitte
erwiesen hat — sie würden ihn auf
Händen tragen nnd ihn mit Lob

zur Begeisterung an Echtheit, Wahr-
haftigkeit, ja an Edelmenschentum
glaubte? Woher sonst als daher,
daß ihnen die Lsthetische Kultnr
eignete, die Fähigkeit, aus der Er-
scheinung das Wesen heraus-
zufühlen! Durch eine höhere Aus-
drnckskultur wäre der „May-Ge-
meinde" die jetzige ungeheuerliche
Vlamage erspart worden. Aber das
ist nicht wichtig, obgleich jedes ein-
zelne Mitglied dieser Gemeinde
mehr zu bedauern ist, als, mit
seiner Million im Trocknen, der
biedre „Old Shatterhand", der selbst
bei dem jetzigen Prozeß noch seine
Sache im alten Geiste vcrfocht.
Wichtig ist: daß Iehn-, daß Hnn-
derttausende beim Lesen Mahscher
Schriften unbewußt all das Ver-
wirrende, Falsche, Erheuchelte mit
geöffneten Organen mit aufge-
nommen haben, das uns andre
absticß, all das unausgesprochene
Gemeine darin, all das Niedrige
zwischen den Zeilen, das sie im

überhäufen. Haben wir Christen
wirklich Ursache, das große
Lebenswerk eines Mannes zu
bekämpfen auf die Autorität eines
Lebius (!) hin? Von allen Seiten
wütet ein erbitterter Kampf gegen
das positive Christentum, und vor
allem die Literatur stellt sich leider
zu einem großen Teile in den Dienst
dieses beklagenswerten Kampfes.
Wie mögen nnscre Gegner sich ins
Fäustchen lachen, wenn sie sehen,
wie von christlicher Seite cin Mann
angefcindet wird, der der christlichen
Idee in seinen Werken so ausge-
zeichnete und hervorragende Dienste
gcleistet hat!" „Ausgezeichncte und
hervorragende Dienste" für „die
christliche Idee" durch einen, der,
gleichzeitig mit seinen „Werken"
fürs katholische Publikum, für
sein andres Publikum Kol-
portageromane wie Mah schrieb!

M Knnstwart XXIII, (5
 
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