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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Mangoldt, Karl von: Der Berliner Waldskandal
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0344
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reichsten, selbst die Höfe sind klein und unzureichend. Aber Berlin
besitzt — wird man bald sagen müssen: besaß? — einen Schatz in
seinen ausgedehnten nnd zum Teil bis nahe an die Stadt heran-
reichenden großen Wäldern in ihrer Verbindnng mit den Seen
und Flußläufen. Diesen Schatz galt es bei dem ungeheuren Wachstum
der Stadt zu wahren, zu pflegen und richtig nutzbar zu machen.
Keine leichte Aufgabe gegenüber den kapitalistischen Tendenzen unsrer
Zeit, aber gewiß eine im höchsten Grade lockende und lohnende.
Und das Beispiel etwa Wiens beweist: eine Aufgabe, die sich bei
ernstem Zugreifen lösen ließ.

Es ist klar, was vor allem h ä tte ges ch e h e n m ü s s en. Berlin hat
noch gegenwärtig in einem Umkreise von zwanzig Kilometern um
den Leipziger Platz annähernd 26 000 Hektar Wald, das ist etwa
viermal soviel als das jetzige Weichbild der eigentlichen Stadt um°
faßt. Es war nicht notwendig, diese Waldflächen in allen Teilen
zu erhalten, aber notwendig war, daß gerade die nächstgelege-
nen und somit sür die Bevölkerung am leichtesten zugänglichen
Wälder gesichert wurden und darüber hinaus dauernd ein solcher
Bestand an Wald, daß er für die Bedürfnisse auch einer fernen Zu-
kunft ausreichte. Notwendig war weiter, die vorhandenen besonde-
ren Na tu rs ch ö n h ei ten, namentlich die idyllischen See- und
Flußufer, soweit irgend möglich, sorgfältig zu schonen und allgemein
zugänglich zu erhalten. Ferner kam es darauf an, den vorhandenen
Bestand an Wäldern u. dgl. planvoll in einer solchen Verteilung
zu erhalten, daß er sich soweit möglich als ein Naturganzes
um die Stadt herumlagert. Endlich war es von entscheidendem Wert,
den Waldbestand zweckentsprechend dem wachsenden Riesenkörper
von Groß-Berlin einzufügen. Natürlich setzte eine solche Politik
einen großen, sorgfältig ausgearbeiteten und mit Lnergie, Geschick
und Zähigkeit verfolgten Plan voraus. Auch eine Verständigung
mit den zahlreichen Gemeinden ringsum und ihre Heranziehung zu
erheblichen Geldopfern für die Walderhaltung war notwendig. Ebenso
ein Druck, sei es nun durch die Verwaltung oder sei es durch die
Gesetzgebung, auf die privaten Waldbesitzer, um schädliche Wald-
abholzungen zu verhindern.

Geschehen ist von all dem mit geringen Ausnahmen nichts.
Schlimmer: fast in allen Punkten ist gerade das Gegenteil des
Notwendigen geschehen. Der Waldbestand ist in umfassender Weise
verringert worden, und große weitere Verwüstungen stehen bevor.
In besonders hohem Maße gerade in den nächstgelegenen Wäldern.
Im Augenblicke zum Beispiel sollen weite Strecken des Berlin zu-
gekehrten Randes vom Grunewald sowie der dicht an das bebaute
Gebiet heranreichenden Iungfernheide vernichtet werden. Auf
die Naturschönheiten ferner ist nur in kümmerlichster Weise Rück-
sicht genommen worden. Von dem vielumstrittenen Pichelswerder —
der schönen Havelinsel — hat der Forstminister neuestens amtlich
mitgeteilt, daß sie nunmehr zum großen Teile der Bebauung er-
schlossen werden soll. Andre köstliche Uferstrecken zum Beispiel am
Wannsee und an der Oberspree sind entweder bereits geopfert oder
stehen in der dringendsten Gefahr, es zu werden. Von einem

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