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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1910)
DOI Artikel:
Langen, Gustav: Christliche Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0353
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alten Kunst, zweitens unter dem Linfluß der modernen Geschichts--
forschung, drittens unter dem Linfluß des Neuen Testamentes. Die
drei Wege sind mannigfach verschlungen.

Die alte Kunst, die wir nicht kopieren, von der wir aber un--
ermüdlich lernen sollten, ist monumental. Ie mehr sie auf Wirklich--
keitsdarstellung verzichtet, desto symbolischer, „bedeutender", inhalt--
reicher ist sie. Sie ist niemals süß, weich, rührselig, sondern sie ist
voll, kräftig, herb wie alter Wein. Nnser Gefühl aber verlangt
kein Porträt Christi, sondern ein Monument mit einem Hauch der
Lwigkeit. Ansre Christusdarstellungen müssen strenger sein, aber nicht
von der inhaltlosen Strenge eines Kunstgewerblers, sondern von
der, die harte Formen bildet, damit sie den Druck des Inhalts, die
innere Spannung aushalten können.

Dieses Bändigen des Inhalts nennen wir Verschwiegenheit. Die
alte Kunst ist tief verschwiegen. Sie macht nicht viele Worte wie ein
schlechter Redner, sie schreit nicht wie ein Bekehrungsprediger, sondern
sie läßt ihre Kinder ungestört, wie eine vernünftige Mutter, und
zieht uns geheimnisvoll an, wie eine stille Frau.

Das ist die Wirkungsweise aller echten, tiefen Religiosität und die
erste Forderung, die wir an eine christliche Kunst zu stellen haben.

Es waren auf der genannten Ausstellung nicht viele Arbeiten,
die so wirken.

Wir können mit den Nachfolgern des süßlichen Guido Reni nichts
anfangen. Die nervenaufregenden, tränen-- und wundenreichen, süß--
blutigen Darstellungen, mit denen die jesuitische Gegenreformation
auf die Massen zu wirken versuchte, sollten bei protestantischen wie
bei katholischen Künstlern überwunden sein.

Trotzdem läßt uns ein Maler aus etwa anderthalb Metern Ent--
fernung in das gerötete Auge und entstellte Antlitz des Gekreuzigten
sehen. Ein anderer zeigt uns Christus am Seeufer, hübsch so gewendet,
daß wir in sein „brünstig zum himmlischen Vater aufgeschlagenes
Auge" sehen können. Der Maler zwingt uns dadurch zu einer
taktlosen Annäherung, die sich keiner der Iünger Iesu erlaubt hätte.

Ein dritter versucht uns eine Szene unmittelbar vor der Kreuzi--
gung mit allem technischen Können eines Historienmalers zu schil-
dern. Der Zug ist eben auf Golgatha angekommen. Der tzerr,
natürlich in Bildmitte und weiß gekleidet, blickt mit hohlwangigem
Entsetzen zu den bereits Gehenkten auf. Die bösen Kriegsknechte
weiden sich zunächst eine Zeitlang an diesem Anblick. Zu des Herrn
Füßen windet sich natürlich seine „schöne Geliebte" mit weißen Glie-
dern und rotglühendem Haar. Das Kreuz liegt am Boden davor,
gleich werden sie ihn ergreifen und niederwerfen, und die Geliebte
wird — das Bild hat den Kitzel der Sensation und ist, versteht sich,
in großen Reproduktionen in den Schaufenstern zu sehen.

Diese Malerei, welche mit dem Anspruch, Wirklichkeiten zu schil-
dern, auftritt, schlägt die Phantasie in Fesseln. Nm die still ragenden
Schöpfungen der alten Kunst kreisen unsre Gedanken und Gefühle
unaufhörlich,- sie fliegen fort durch die Iahrtausende und alle Welt-
räume und kehren wieder zurück wie ein Schwarm weißer Tauben
zu dem, der ihrem Herzen Frieden gibt. Mit andern Worten: sie
wirken christliche Weltanschauung. _

l. Iuniheft chio 29l
 
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