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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1910)
DOI Artikel:
Langen, Gustav: Christliche Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0363
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lich seien. Das Programm verlangt diese nicht. Ls verlangt nur
Stätten der Andacht, die wir in alten Kirchen, in heiligen Hainen,
in Gruftkapellen und Friedhofsanlagen suchen, pflegen und gründen
können.

Es ist auch unbenommen, etwa nach Art der alten Klöster, Ge°
meindehäuser und Gotteshäuser zusammenzulegen. Reformierte Ge°
meinden werden sich oft mit Predigtsälen begnügen, andre wieder
die Andachtsräume mehr ausbilden. Die Hauptsache ist: daß die
bauenden Gemeinden wissen, was sie wollen, und daß sie den Künst-
lern die Freiheit lassen, aus örtlicher Bauweise und den geistigen
Eigentümlichkeiten einer Gemeinde immer neue Kunstgebilde zu
schaffen.

Ob der schönste Schmuck eines Predigtsaales die weite Aussicht
aus seinen Fenstern ist oder die trauliche Lage im Grün, wo Kletter-
rosen und Lfeu durch die Scheiben winken, oder ob verschwiegene
Kunstwerke leise durch den Raum klingen, ob Holz, Stein oder Eisen
seine Formen bilden — immer wird strengste Einfachheit seinen
protestantisch nüchternen Sinn betonen müssen. Kein Riesenbild darf,
wie leider so oft, den Raum mit süßlich weicher Passionsstimmung
erfüllen. Das «seste Burg" muß ebenso in ihm klingen, wie das
„O Lamm Gottes". Der Geist des einzelnen schafft sich dort Burg
und Gruft frei, aktiv und ungehemmt durch eine irgendwie fest-
gelegte Raumstimmung. Es ist von unbewußter psychologischer Fein-
heit, daß der Protestantismus die alten Malereien nicht braun, rot,
grau, grün oder steinfarben, sondern weiß übertünchte, daß die bunten
Fenster immer heller wurden und schließlich den blanken kleinen Schei-
ben weichen mußten. Nun schien das liebe Himmelslicht frei in den
Raum, man sah die Wolken ziehn, die Ranken spielen, und das
Innere verfärbte sich nach Morgen- und Abendsonne. Nun war
die Kirche nicht mehr ein abgeschlossener Raum für sich, sondern ein
Spiegel der weiten Welt, wie auch die protestantische Predigt Schatten
und Lichter des Tages aufsaugen und sammeln soll.

Unsre Aufgabe ist es, diesen geraden Weg des protestantischen
Kirchenbaues weiter zu verfolgen.

Der andere Weg führt uns zur Mystik, zur Gefühlsreligion des
Mittelalters zurück. Schon Luthers Stellung zeigt, wie besonders
der deutsche Protestant auf die Gefühlswelt der alten katholischen
Kirche nur ungern verzichtet. Immer wieder, besonders zur Zeit der
Romantik, ist diese Sehnsucht nach dem Religiös-Poetischen im Prote-
stantismus wach geworden. Sie wird nicht eher gestillt werden, als bis
die christliche Kunst, besonders die Baukunst, ihr eine Heimstätte bietet.
Mit ihren hohen gewölbten Hallen und Chornischen, gefüllt mit dem
Schmuck, den Erinnerungen, den Gräbern einer langen Vergangen-
heit bieten sich da von selbst die großen Kirchen an. Welch wunder-
volle Aufgabe, einer jeden abzulauschen, wie sie einst gewesen und wie
sie heute weiterwachsen möchte. In diesen für den katholischen Kultus
geschaffenen Räumen ist die einzige große protestantische Kirchen-
kunst entstanden, für sie ist sie gedacht: der Volkschoral des s6. und
die Kirchenmusik des s7. und s8. Iahrhunderts. Sie bringen den
Beweis, daß der Protestantismus sich mit der einseitig betonten

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