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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0365
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Die Tür ist zu. Ihm ist, als knirscht das Schloß.

„Kommst du, mein Weib? Wie ich zuletzt dich sah?

In gelber Seide, die dich knapp umgotz.

Die Augen schattend mit den halben Händen?

Ist's jetzt noch so, daß dich die Lampen blenden?" —

Und von der Wand her ging ein leises: „Ia!"

„Bist du noch schöner?" Seine Stimme sagt.

Sein Auge trinkt sich ihren Augen nah.

Blutroter Sturm aus seiner Sehnsucht fragt.

„Kannst du noch immcr aus den Spinnenecken
Ganze Hände voll roter Rosen wecken?" —

Und von der Wand her ging ein lieblich: „Ia!"

Er schreit vor Glück. Mit beiden Armen reitzt
Er an dem Bilde. „Sag's, Beronika,

Küßt mich in diesem Augenblick dein Geist?

Nein, nein, mein Weib, dein Mund, dein Mund! So müssen
Die Lippen der Gestorbnen saugend küssen?" —

Amd von der Wand klirrt ihre Geige: „Ia!"

Der ewige Zude

^»v*enn nur heute kein Bettler kommen möcht,

^^Wir müssen ihn hausen, der Anheil bringt,

Den ewigen Iuden, den Satansknecht,

Der heut in die einsamen Höfe dringt.

Wenn doch keiner käme! — So geht ein Geraun
And gespensternd Angsten um Tür und Zaun.

Die westfälischen Höfe, die Waldreviere,

Starren und stehn, als ob sie friere.

Der Weihnachtsabend läuft ins Land.

Lichter kreiseln. Gespenster ziehn.

Im Tannenbaum huschelt manche Hand,

And glimmend alle Fenster glühn.

Da schleicht ein alter Bettler den Weg,

Er steht — er horcht — er biegt in den Steg.

Auf ein düsternd Gehöft zu. Er schwankt im Schreiten
And sperrt sich, um nicht in den Graben zu gleiten.

Die Hunde empfangen den übeln Gast.

Sein Bart ist weiß und binsenlang.

Der Bauer kommt, die Laterne gefaßt,

Des Alten Stimme hat Grabesklang:

„Gib mir ein Lager für die Nacht."

In den Stall hat ihn der Vauer gebracht,

Grimmig.-Die Pferde scharren, — schnaufen.

Und die Kühe mahlcn an den Raufen.

l- Iuniheft MO 203
 
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