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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0369
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Der König und das Kind

Lvzeim Iagen weit verirrt ins Land
-^Ein König von Nordlands Macht
Fand eine Hütte dicht am Strand
Ünd ein Lager drin zur Nacht.

Die schilfigen Wände krauste der Wind.

Es klopfte zur Mitternacht,

Und draußen stand ein frierend Kind,

Als der König aufgemacht.

Ein Mägdelein, zerlumpt das Kleid,
Saumfetzen um das Knie.

Der König öffnet die Türe weit,

In die Hütte führt er sie.

„Leg dich aufs Lager zu mir her,

Für ein Kind hat's gut noch Raum.

Sag an, was zitterst du so sehr?

Schlaf dich in guten Traum.

Du schaust, als fürchtetest du dich.

Bei meiner Väter Ehr,

Mein Schwert hier zwischen dich und michl
Nun leg dich und bange nicht mehr." —

Der König schläft und schrickt empor.

Was liegt das Zimmer klar?

Das Kind — der Mond steht groß davor —
Ist anders als es war.

Der Atem überspielt die Haut,

Die nackt und blütenweiß.

Der König ruckt empor, ihm graut,

Sein Blut wird rasch und heiß.

Er tastet, schrickt: sie ist ein Weib!

Es befällt ihn rote Glut,

Er zitterte am ganzen Leib
Und betete vor Wut.

Zuletzt stehn Flammen, dicht wie Saat.
Äbers Schwert hin geht die Bahn.

Dann weiß er's, was er dem Weibe tat,

Hat er dem Kinde getan.

Und blechern von dem Lager fällt
Sein Schwert, der Ehre Pfand —

Die Hand, die er in seiner hält,

Ist eines Kindes Hand.

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