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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0444
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ungarischem Lande bildct, während sie sich im ganzen vielmehr als cin Fluß
darstelll, dessen Oberlauf durch reich bevölkertes deutsches Industrieland,
desscn Unterlauf durch volkarmes ungarisches Weide- und Sumpfland
zieht. Doch hat man in unsrer Ieit die Ausdrücke Trans- und Zisleithanien
nicht ohnc tiefcren Grund und nicht bloß um des Wohlklanges willen ge-
wählt. Die Leitha ist kein Grenzfluß und war es auch wohl niemals:
allcin der ganze Leithawinkel, durch das Leithagebirge, den Fluß nnd
den Neusiedlersee bezeichnet, ist ein Äbergangsgebiet, wo dreifacher Gegen-
satz der Bodenbildung und des Volkstums so vielfach ineinandergrcift,
gleichsam ineinander verzahnt ist, wie auf gar keinem andren Punkte der
deutsch-ungarischen Grenze.

Bei Bruck aber, wo eine Hauptstraße und eine Haupteiscnbahn aus
Niederösterreich nach Ungarn führt, kann man das vielbcrufcne Wort „dies-
seit und jenseit der Leitha" allerdings im Doppelsinne gebrauchen, denn
die Leithabrücke, welche dem Städtchen den Namen gab, verbindet Deutsch-
land unmittelbar mit Ungarn.

Nun bietet sich dem Fußwanderer ein zwiefacher Weg von Bruck
nach der ungarischen Grenzstadt Eisenstadt. Ein Fußpfad, cinsam schattig
und angenehm zu gehen, folgt dem Höhenzugc des Leithagebirges und
führt uns durch cine echt deutsche Mittelgcbirgslandschaft. Die andre
Straße, fahrbar, aber ein großer Umweg, zieht durch die Ebcne längs des
Nordwcstrandes des Neusiedlersees und gibt uns schon den vollen Vor-
geschmack ungarischer Szenerien.

Ich wählte diescn letzteren Weg, fuhr mit der Raaber Eisenbahn nach
dcr ersten ungarischen Station Parndorf, und kreuzte noch ein gutes Stück
ostwärts in die Parndorfer Pußta hinüber, um wieder zurück gegen die
Nordspitze des Neusiedlersees zu lavieren. Welch ein Kontrast mit dcr
hochromantischen Stromlandschaft von Preßburg, Theben, Hainburg, die
ich in den vorhergehendcn Tagen gcschaut hatte, und gegen die Idhlle von
Rohrau! Und doch war ich nur wenige Stunden Wegs von allen
diesen Ortcn entfernt. Ein furchtbarer Nordweststurm, den mir nachgehends
selbst die Leute dcr Gegend für nnerhört heftig erklärten, fegte über die
kahle, baumlose Fläche, Schneewirbcl untermischt mit Regenschanern vor
sich hertreibcnd; die bcrgigen und hügcligcn Hintergründe, welche sonst
gcn Nordcn und Westen abschließen mögen, waren nicht zu sehen, alle
Formen zerflossen in tonloses Wolken- und Ncbelgrau und nnr dcr
braune Boden der noch winterlichen Hcide breitete sich unabsehbar vor
meinen Füßen. Nun war ich doch gewiß in Ungarn, und begann im
Voranschreiten ganz unvermcrkt meine Kleidung zu magharisieren. Den
Hut ließ mir der Sturm keine Minute auf dem Kopf; also drückte ich
ihn zusammen, zwängte ihn in die Reisetasche und setzte ein Haus-
käppchen auf, wclches auf die Entfcrnung ungefähr wie cine ungarische
Mütze aussah, und die Ungarn nannten cs später wirklich meine „dcutsche
Kucsma"; das hielt gegen den Wind. Die Hosen steckte ich in die Stiefel
nach Ari der Nngarn, denn alle Augenblicke sank ich bis über die Knöchel
in dcn durchweichten Boden odcr trat in cine Pfütze; den Nockkragen
stellte ich auf, daß er zum ftehenden ungarischen Kragen wurde, nicht
aus Vorliebe für das Magyarentum, sondcrn damit ich die Ohren nicht
erfror; und da ich bei Preßburg gesehen hatte, wie zweckmäßig sich die
slawischen Bauern der Ämgegend durch eine Kapuze von Schafspelz

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