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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0463
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Die bebaute Region gibt eine Abwechselung, die man vielleicht selten
mehr auf dem Erdboden findet. Rnten reifen im lieblichsten Gemisch
die meisten Früchte des wärmern Lrdstrichs; alle Orangengeschlechter
wachsen und blühen im goldenen Glanze. Weiter hinauf gedeiht die
Granate, dann der Olbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock und
die Kastanie, und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuße
triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen
Palmen dazu.

Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf
einem Punkte, den alten, großen, berühmten Kastanienbaum in der Ferne.
Kaum kann ich sagen, daß ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht
einen Tag aufopfern. Die Nacht mußte ich in einem kleinen elenden
Dörfchen blciben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten,
besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser Ort, welcher ehemals
unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat
die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer
des Ätna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man
weit, weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchstwahrscheinlich ist
das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die
Sarazenen so gut als möglich wieder zusammengesetzt, scheint aber dabei
nach sehr willkürlichen Konjekturen verfahren zu sein. Es ist bekanntlich
eines der erhaltensten, und alles, was alt ist, ist sehr anschaulich; aber
für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen; und doch hat eben der
schönste, prächtigste Teil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte
Schloß, welches noch viel höher als die Stadt liegt, muß schwer zu
nehmen sein. Die Patronin, die heilige Mutter vom Felsen, müßte es
also ziemlich leicht sehr gut verteidigen, wenn ihre Kinder verständige und
brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von
Eatanien an den Kommandanten, die einzige in Sizilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirtshaus unten am Fuße
des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte
mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirtshaus
finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallcn.
Bei den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein; denn ihre Ungefälligkeit
und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier
meinen Mauleseltreiber fort und wanderte wieder allein zu Fuß weiter;
denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht ver-
fehlen. Lin alter Sergeant von Taormina, der mir sehr freundlich
den Ciceronr machte, wollte mir eine Order an den Kommandanten von
Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mitgeben, daß er mir
dort das Schloß auf der Felsenspitze zeigen sollte; ich dankte ihm aber
mit der Entschuldigung, daß ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf
und herab von Taormina ist etwas halsbrechend, hat aber einige schöne,
sehr gut bcbaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus an°
geführten Ursachen nur zwei kleine Stunden, bis ich das Lheater gesehen
und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche
alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus noch einige Millien
begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte. Einen gar sonder-
baren, langgezogenen, tiefen, nicht unsonorischen Dialckt haben hier die

2. Iuniheft WO 383
 
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