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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0489
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allzusehr verloren, so daß die
Einzelleistung kaum etwas Be-
sondres sagt. Die Stilidee aber ist
noch nicht über ein lebloses Schema
hinaus, das, mehr mit dem Ver-
stand als mit den Sinnen gemacht,
wie der heilige Augustinus sagt:
weder schwellend im Raum noch
wandelbar in der Zeit ist. Nach-
dem Nodiu, ähnlich wie der Im-
pressionismus in der Malerei,
Letztes, Außerstes an skulpturalen
Möglichkeiten gegeben, suchte die
Entwicklung auch hier in einer ver-
ständlichen Reaktion den Weg zu den
Anfängen plastischer Ausdrucksfor-
men zurück. Als Führer gilt diesen
Künstlern der Franzose Maillol,
der auf der Ausstellung mit einem
„stehenden Iüngling" vertreten ist.
Aber ist selbst dieser noch nicht
über eine gewisse schematisch
plumpe Antike hinausgekommen, so
zeigen die andern zumeist nur erst
den negativen Erfolg, daß sie den
Neichtum individuellen Empfin-
dungs- und Bewegungsausdrucks
glücklich, allzu glücklich abgetan
haben. Gilt ihnen diese Negation
schon für Stil? Aber nicht das
Fehlen jedes Gliederlebens ist Stil,
vielmehr der gestaute, zurückge-
drängte Reichtum der Gliederung,
das Dämmebauen gegen die Flut
des Empfindungsstroms; nicht das
Ableiten dieses Stroms in den
glatten Kanal eines Schemas. Daß
sich übrigens einige der Iüngsten
bei ihrem archaistischen Streben
gleich in Diluvialismen verlieren,
wird nicht weiter wundernehmen.
— Nur ein einziger geht auf Ro-
dins Spuren, Karl Albiker, mit
seiner „überraschten Susanne", doch
läßt das rohe Gipsmodell noch
nicht erkennen, ob auch die letzten
Feinheiten plastischen Bewegungs-
spiels nicht nur äußerlich gekonnt,
sondern auch mit Leben durchfühlt
sind, und die Flächen am Licht

zum Tönen kommen. — Von fei-
nem, leicht architekturalen Reiz
ist ein Brunnen von Peterich
mit einem flötenden Amor auf
schlanker Säule. — Im übrigen
sind noch einige Porträtskulpturen
zu nennen, ein paar ausdruckszarte
Mädchenköpfe von Klimsch, und
dann vor allem die Büste Karl
Mucks von Max Kruse, die aus
einer leisen Strenge der Linien sich
zu einer reichen, geistvollen, inne-
ren Belebtheit frei entfaltet und
wieder zeigt, welcher Ausdrucks-
kraft und Ausdrucksfeinheit das
Holz unter den Händen dieses aus-
gezeichneten Künstlers fähig wird.

Erich Vogeler

Die Berliner Städtebau-
ausstellung

ie der alte Leutnant Ekdal,
der ehemalige Bärenjäger
vom Hochtalswald, sich an die
Iagdgründe seiner Bodenkammer
so „glücklich angepaßt" hat, daß
er die Farce gar nicht mehr spürt,
gar nicht die Zerbrochenheit und
Verkommenheit empfindet, in die
Wille und Kraft sich verloren
haben, geradeso ging es auch uns.
Hatten wir uns nicht an die Dach-
kammerfarce dieses Großstadtlebens,
an die Dumpfheit und Entartung
schon so herrlich „angepaßt", daß
wir gar nicht mehr empfanden,
wie Geschlecht um Geschlecht tiefer
versank? Nur wenn die Degene-
ration in einer Katastrophe sich
entlud, dann ging ein leises
Grauen auch durch die dumpfe
Masse: „Der Wald rächt sich, der
Wald!" Den wir in wilden Bau-
spekulationen wider alles höhere
Recht verschachert. Aber das Ge°
wissen fiel gleich wieder in seinen
gemütlichen Schlaf. Eigentlich war
sie ja wundervoll, diese Großstadt.
Freilich, sie war flügel- und
ständerlahm, wie die Wildente,

Angewandte

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