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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Handzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0028
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von selbst versteht, gerade davon hat das große Publikum meistens
noch gar keine Vorstellung. Es sucht in der Handzeichnung, wie im
Bild, zunächst irgend etwas Abgezeichnetes. An den abgezeichneten
Dingen freut sich's, an der Landschaft, wenn sie nett, am Mädel, wenn's
hübsch, am Kinde, wenn's lieb ist. Eine Stufe höher, so hat's auch
von Perspektive etwas gehört, von schönen Linien, von guter Kompo--
sition, und sucht und findet davon dies oder das im Bild. Wir wären
dumm, wenn wir gesund Erfreuliches nicht nähmen, wo und wie
wir's finden — warum sollen wir uns nicht auch an schönen BLumen
und hübschen Menschenkindern auf Zeichnungen erfreuen? And die
Reize der Linienschönheit, der Massenkomposition usw., gewiß, die
können auch auf Zeichnungen da sein. Aber die besonderen Reize

Aus „Kunst und Leben" I9tl (Berlin, Fritz Heyder)

Graf Leopold von Kalckreuth, Feldarbeit. Federzeichnung

der Handzeichnungen liegen nicht hier, nicht das liegt hier, was nur
solche Zeichnungen bieten können. Am wieder mit der Buchstabenschrift
zu vergleichen: nicht das liegt hier, was dem Sachverständigen für
Handschriftenkunde die Handschrift als solche über den Schreiber aus--
sagt.

Das scheint, zunächst, ganz unabhängig von dem, was mit der Hand-
schrift niedcrgelegt werden soll. Wenn Bismarck einen Brief an selne
Frau schreibt und Menzel ein Mädchen zeichnet, das ein Messer
prüft, und dann wieder: wenn Bismarck Sätze für den Frankfurter
Frieden skizziert und Menzel den Tod Friedrichs des Großen entwirft:
es ist dort Bismarcks und ist hier Menzels Zug in den schreiben-
den und zeichnenden Linien, ist bei jedem eben derselbe eine feste
Zug, der durch alle ihre Buchstaben- oder Bilderschriften geht. Den-
noch: er wandelt sich ebenso ab, wie über ein und dasselbe Gesicht
Freude und Leid, Liebe und Zorn geht, Gleichgültigkeit und Anspan-
nung: der Handschriftenkenner liest ja aus einem Briefe nicht nur Blei-

l- Ianuarheft ldll
 
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