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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Handzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0029
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bendes über den Eharakter des Schrerbenden, auch Wechselndes über
setne Stimmung beim Schreiben. Nun aber der Punkt, wo auch dieser
Vergleich zu hinken beginnt. Das Schreiben ist in weit höherem Grade
nur Nebenprodukt des geistigen Lebens, als das Zeichnen, das
wenigstens in der vollen künstlerischen Erregung Ausfluß dieses
Innenlebens ist. Auch der vollbeteiligte Schreiber denkt, wenn er
mehr als Abschreiber ist: was er schreiben, der Zeichner aber: wie er
zeichnen soll. Der vollbeteiligte Zeichner lebt im Zeichnen. Ie mehr
er's tut, je mehr von seinem Innern fließt deshalb in seine Zeichnung
über. Ie weniger, je mehr nähert sich sein Zeichnen, psychologisch
genommen, der Schreiber-Schrift.

Von diesen Verhältnissen fühlt das große Publikum noch wenig,
und so kommt es, daß seine Wertschätzung der Zeichenkunst sich genau
umgekehrt zu der des Kunstfreundes verhält. Die Erziehung dazu,
Diuge des Seins genau und scharf wiederzugeben, ist meiner Meinung
nach unter der neuen Bewegung zu sehr vernachlässigt worden: wir
brauchen Leute, die ein Tier, eine Pflanze, irgeudeinen Körper
wirklichkeitsgetreu in voller Zuverlässigkeit abbilden können, und wollen
diese Fähigkeit ja nicht unterschätzen. Nur hat dieses technische Können
nichts mit der eigentlichen Zeichenkunst zu tun, von der wir eben
sprechen, nichts mit dem Zeichnen als Ausdruck eines persönlichen
Sehens und Verhaltens zur Welt. Das Publikum unterscheidet da
kaum. Ihm ist das orthographische und gar das kalligraphische Zeich-
nen das Höchste. Das „korrekte" und das „schöne". Mit andern Wor--
ten: jenes Zeichnen, bei dem der Schwerpunkt aus dem Ich des Zeich-
ners nach außen verlegt ist, sei's auf den abzuzeichnenden Gegenstand,
sei's auf den Beschauer, dem man Gefälliges bieten, dem man ge°
sallen will.

Sprechen wir nun von den Kunstfreunden, so dürfen wir natürlich
von denen absehen, die irgendwelche Sonderinteressen verfolgen. Und
dürfen der Einfachheit halber annehmen, daß sich's bei den vorgelegten
Blättern um Zeichner von gleicher künstlerischer Begabung und Fähig-
keit handelt. Sind so die Voraussetzungen gleich, so werden dem
Kunstfreund gerade umgekehrt wie dem breiteren Publikum am meisten
diejenigen Zeichnungen bieten, in welchen sie am stärksten den
Ausdruck der Künstlerseele spüren. Wenn sie die Studie mehr
interessieren wird, als etwa die Abzeichnung eines Slbildes mit dem
Stift, so wird sie noch mehr die Skizze fesseln, bei der etwas nur
angedeutet, also noch mehr als bei der Studie vereinfacht und damit
übersetzt ist. Am wertvollsten aber werden ihnen Entwürfe sein.
Es ist einer der edelsten Genüsse, der sich denken läßt, an der Reihen-
folge der Entwürfe, Skizzen, Studien, Ausführungen das Werden,
das Ringen, das Sichdurchkämpfen eines schöpferischen Gedankens
vom ersten unmittelbaren Niederschlage der Konzeption an bis zum
Endergebnis zu verfolgen — wenn schon oft ein Genuß, der dem Ge°
nusse am Tragischen verwandt ist.

Aber freilich, wer dem nachgehen will und nicht besonders dasür
begabt ist, braucht Äbung dazu. Abung im Sehen all dessen, was
auf Zeichnungen wirklich in Strichen da ist. Nnd Abung seiner
Phantasie im Nachgehen, im Nachbilden und damit: im Nach-


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