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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0064
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Bibel vor. Denn sie ist ewig nnd
wirklich wie die Natnr, wie der
Sternhnnmel. Was der Mensch
an ihr tut, tut er sich selbst.
Wer an der Bibel vorübergeht, tut
ihr keine Unehre an, aber er schä-
digt sich. Wer sich in sie ver-
senkt, tut ihr keine Ehre an, aber
er bereichert sich so, daß ihm die
Lust, zu diesem Quell der Ent-
zückungen zurückzukehren, sein Leben
lang nicht vergehen wird.

Ich erinnere mich, wie mir eines
Tages, als ich die Schule schon
leidlich vergessen hatte, ein Heim-
weh in den Sinn kam, ein Heim-
weh nach einem Rhythmus oder
einem wunderbaren Fall von
Worten, der sich eben nur als
Klang in meinem Ohre festgesetzt
hatte. Ich mußte erst ein wenig
grübeln, bis mir als Träger dieses ^
Taktes und Klanges einige Worte
ins Gedächtnis kamen. Aber der
Rhhthmus, den ich mit innercn
Sinncn deutlich empfand, führte
mir die fehlenden Worte zu, und
endlich stand der ganze Satz vor
meinem Gedächtnis da, einer Statue
aus feinem, getriebenem Golde ver-
gleichbar: „Da Iesus geboren war
zu Bethlehem im jüdischen Lande,
zur Zeit des Königs Hcrodes, siehe,
da kamen die Weisen vom Mor-
genland gen Ierusalem und spra-
chen: Wo ist der neugeborne König
der Iuden? Wir haben seinen
Stern gesehen im Morgenland und
sind gekommen, ihn anzubeten."
Ich holte die vergessene Schulbibel
hervor, und die herzhafte Freude,
mit der ich die Stelle im Mat-
thäusevangelium nachlas, ließ mich
alle Kämpfe verstehen, die um
dieses Buch ausgefochten worden
sind. Mich bezauberte das köst-
liche Ebenmaß dcr klanglichen Be°
wegung. Ich spürte die Kunst, die
diesen von feurigen Daktylen be°
lebten Iambentakt so sicher durch

den ganzen Satz hindurchgesteuert
hatte. Ich mußte das dichterische
Gefühl bewundern, das die wich--
tigen Silben der betonten Worte
durch das Metrum so schön und
klar beleuchtete.

Von hier ans ging es weiter,
zunächst immer noch im ästhetischen
Geleise.

Da fanden sich Stücke, wie der
Prophet Daniel, die waren streng
und archaisch geschrieben wie Keil-
inschristen, so, wie man denkt, wenn
man als Fixierungsmittel nur
Stein und das Eisen des Meißels
hat: sparsam in den Farbenab-
stufungen, durchaus gegenständlich,
voll feierlichcr, rhhthmischer Wie-
derholungen, in deren Starrheit
man die unmilde, harte Sonne
des Ostens zu spüren meinte. In
der Ausdrucksweise gab es keine
Halbschatten, keine Brechungen;
nichts als Schwarz und Weiß,
Ia und Nein, Rechts und Links.
Hart daneben standen andere
Stücke, wie beispielsweise einige
von den apokryphen Büchern,
deren Ausdrucksweise war malerisch
weich und hellenistisch modern. Es
war in ihnen die Bildung üppiger,
geistreicher Städte zu spüren und
ein hochentwickelter schriftstelleri-
scher Lhrgeiz von starker Bewußt-
heit. Es machte mir diese Bücher
auf eigene Weise vertraut, wenn
ich so am Anfange des Iesus
Sirach oder am Schlusse der Mak-
kabäer die Hand sich hervorwagen
sah, deren Fleiß hier Zeile um
Zeile zusammengetragen hatte, um
guten, gefälligen Ausdruck sor-
gend und sicherlich um dieselben
handwerklichen Probleme bemüht,
die deir Schreibenden heute noch
beschäftigen. Das waren schon auf-
gelöstere, kühlere, alexandrinische
Menschen, die das geschrieben hat-
ten. Und von ihren Werken, die
sie mit Fleiß und hohem, kultivier-

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