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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0098
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Deren Grundsatz ist: „Ieder Ort er-
richtet nur eine Art von Volks-
schulen, und jedes Kind ist verpflich-
tet, diese mindestens vier Iahre lang
zu besuchen."

Da das Schulgeld für die mittlern
und höhern Volksschulen ent-
sprcchend mehr beträgt, als für die
einfachen Arten, so werden jene von
den Kindern der besser gestellten
bürgerlichen Gesellschaftsklassen be-
schickt, während diese ihre Schüler
besonders aus dcr Arbciterschaft er-
hält. Die einfache Volksschule ist
damit zu cincr Art Armenschule
geworden, und nicht mit Unrecht
hat man die bestehenden Schul-
arten, dercn Schülerbestand so durch
die wirtschaftliche Lage der Eltern
bestimmt wird, als Standes-
schulen bezeichnet. Wie aber jetzt
schon in einfachen Landschulen not-
wcndigerweise der Sohn des Arztes,
des Geistlichen, des Fabrikherrn und
dcs Arbeiters gemeinsam die erste
Bildung genießcn, so sollen in dcr
Allgemeinen Volksschule Schüler
aus allen Volkskreisen gemeinsamen
Zielen zustreben. „Sie stehen als
Gleiche vor den Gesetzen der Schule
und erfahren dabei, daß um die Er-
folge alle ringen müsscn, gleichviel,
ob reich oder arm, und daß nur
der Tüchtige steigt. Sie treten in
Wettbewerb und üben gemeinsam
ihre geistigen und körperlichen
Kräfte." Sie erkennen, daß geistige
Vorzüge nicht allein an bestimmte
Stufen des gesellschaftlichen Lebens
gebunden sind. So würde die All-
gemeine Volksschule ein Mittel sein
(eins nur von vielen), dem Klassen-
geist, den unsre Schulen jetzt be-
stärken, entgegenzuwirken.

Natürlich sind die vcrschiedenen
Schulgattungen auch in bezug anf
unterrichtliche Versorgung, Ausstat-
tung mit Lehrmitteln usw. verschie-
den. Greifen wir einen Punkt her-
aus, der besonders große Unter»

schiede zeigt und sehr viele Nach-
teile für die einfachen Schulen mit
sich bringt: die Schülerzahl. Hier
bestimmt das sächsische Volksschul-
gesetz zum Beispiel, daß die Schüler-
zahl einer Klasse der einfachen
Volksschule 60 Schüler nicht über-
steigen soll unü einem Lehrer nicht
mehr als (20 Kinder zum Unter-
richte zugewiesen werden. Für die
mittleren und höheren Volksschulen
sind dagegen als Höchstzahlen fest-
gesetzt: 50 oder W. Tatsächlich aber
ist das Verhältnis noch ganz anders
geworden, und es sitzen an man-
chen Orten in der Höheren Volks-
schule 25, 50 Schüler, während an
demselben Orte die Einfache
Volksschule, infolge des geringen
Schulgeldes, Klassen mit 45, mit
50 und mehr Kindern aufweist. Dem
Lehrer ist es bei einer so hohen
Schülerzahl nicht möglich, die ein-
zelnen Kinder ausreichend kennen
zu lernen; eine jedem eigentümliche
Behandlung ist damit ausge-
schlossen. Die Zahl derer, die ein
Klassenziel nicht erreichen und ein-
zelne Schulklassen noch einmal
durchlaufen müssen, muß daher in
den einfachen Schulen größer sein
als in den andern Abteilungcn. Be-
denkt man ferner die Hhgienischcn
Schäden überfüllter Klassen und die
untcrrichtlichen Hcmmungen — For-
derungen der neueren Pädagogik,
wie Unterrichts- und Beobachtungs-
gänge, Einführung von Beschäfti-
gung und darstellender Tätigkeit in
die Volksschule lassen sich viel
schwerer bei großen Klassenbeständen
verwirklichen —, so wird nach all
dem wohl einleuchten, daß die Ein-
fache Volksschule mit ihrer größeren
Schülerzahl den höheren Arten
gegenüber immer im Nachteil ist.

Die Bildnngsbedürfnisse der ersten
Iugend sind für alle Kinder die-
selben, und die Geistesgaben nicht
nach dem Vermögensstand der

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