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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1911)
DOI Artikel:
Gürtler, Franz: Deutsches Theater und "Deutsches Theater"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0117
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Es ist hier von Reinhardt und seinem Ensemble die Rede gewesen;
nicht weil er der einzige wäre, bei dem das Theater beginnt sich
zu verzehren, sondern weil dieses Phänomen im Dentschen Theater
wirklich am auffälligsten ist: und von dort aus nicht nur anregend,
sondern auch zersetzend auf andre Bühnen wirkt. Meines Erachtens
führt aber diese Entwicklung ziemlich geraden Weges zur Aukultur,
zum Snobismus und zur Sensation. Solange wir meinen, eine
Vorstellung verkörpere eine Dichtung, solange ist die Pflege der schau-
spielerischen Technik, des Ensembles und der Vorwirkung desDramas
die Hauptsache, welcher die Regie mit allem Fleiß und in aller Demut
zu dienen hat. Man braucht vielleicht nicht so puritanisch streng
zu sein wie Brahm, aber sein ehemaliger Mitarbeiter Reinhardt
sollte ihn nicht so völlig verleugnen.

Alle diese Dinge wären so erheblich nicht, wenn nicht gerade die
Odipusorgie Anlaß zur Planung des „Theaters der Fünftausend"
gegeben hätte, — und zwar unter Reinhardts Leitung. So froh
diese Bewegung zu begrüßen ist, so bedenklich muß man bei diesem
Anlaß und diesem Programm werden. Auch Sensationen können
dem „Volke" schmackhaft gemacht werden, gerade sie und sogar für
ziemlich lange. Arbeitet aber Reinhardt ungehemmt auf dem ein-
geschlagenen Weg weiter, so wird man dem Volk viel mehr „Theater-
kunst" im bewußten Sinne, als dramatische Dichtung geben, während
die ganze Bewegung doch nur dann einen Sinn hat, wenn sie auf die
Verbreitung der höchsten Lebsnswerte ausgeht. Man wird auch die
sachliche Gegnerschaft weitester kunstfreundlicher Kreise nicht so schnell
und einfach überwinden, auf deren Mitwirkung am guten Werk man
nicht so leichten Herzens verzichten dürfte. Ich meine nicht, daß man
das große schöne Anternehmen einfach ohne Reinhardt machen sollte,
ja, ich bezweifle sogar, ob man das könnte. Aber mit aller Ent-
schiedenheit müßte darauf hingearbeitet werden, daß die bisherige
Abung — das Vorwalten der untergeordneten Regie und das Zer-
fallen und Heraustreten der schauspielerischen Einzelleistungen —
zugunsten sachlicher und zurückhaltender Arbeit weiche. Es verlautet,
man wolle ein eignes Ensemble zusammenstellen. Nun, das verpflich-
tet geradezu, auch eine ständige Leitung zu berufen. Reinhardts ge-
waltige Regisseurkraft in Lhren, aber über, mindestens neben seine
Methode gehört, wenn ganze Arbeit getan werden soll, eine ständige,
sachliche, ich scheue mich nicht zu sagen: eine künstlerische
Macht, welche den Aufführungen für unser Volk Würde und Inner-
lichkeit wahrt. Wir haben genug solche Männer, und man darf der
inneren Kraft der guten Sache trauen, daß sie auch die etwas wider-
strebenden Elemente sammeln und binden wird. Reinhardt hat selbst
in seinem Mitarbeiter Emil Milan, der die trefflichen, vornehmen
Aufführungen des „Gyges" und der „Gräfin von Armagnac" leitete,
eine so gehaltene Kraft, Steinrück, Gregori und manche andre ge-
hören zur gleichen Art.

And noch eins: schon hört man vom Spielplan, daß Sophokles,
Aristophanes, Shakespere gegeben werden sollen (Coriolan und Cäsar);
Antike entweder ganz oder dem Stoff nach. Glaubt man wirklich, daß
gerade „das Volk" ein tieferes Nacherleben für die Blüte der antiken

2. Ianuarheft sM 85
 
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