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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 8 (2. Januarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0153
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(Bäschen beginnt sich zu regen.)

Dolf (hat Geige und Bogen, sowie das Kränzlein rasch wieder an
sich genommen; seinc leuchtenden Augen sind in freudiger Erwartung auf
das schlafende Bäschen gerichtet; hält, da Bäschen erwacht, das Kränz-
lein bereit; leise jubelnd): Vater! Muttcr! Bäschen ist crwacht?

Bäschcn (vom Strohlager auf. Höchst ärmlich gekleidet; jungfrisch;
das blonde tzaar aufgelöst; wie eine kleine Königin mit leuchtenden
Augen vor Rauschenplat hintretend; liebreizcnd): Hier!

Rauschenplat (befühlt Bäschens Blondhaar; sieht ihr forschend
in die klaren Augen, wie ein Gciziger, der seine Dukaten besieht; zärtlich):
Meine Hofdame . . . mit den blauklaren Augen und dem goldenen Haar.
(Ruft barsch, laut) Mein Leibkammerhusar!

Marthe (öffnet die Falltüre; steigt aus der Tiefe. Läßt die Falltüre
offen stehen. Hält in der Hanü einen Slkrug. Mit dem Reiserbesen sich vor
Rauschenplat stramm aufstellend): Herr Ruscheplättli! Do wär dsnn däs
Husärli! (Frau Rauschenplat den Slkrug reichend) Frau Ruscheplättli!
Do wär denn däs Krüegli! (Währcnd die Mutter den Slkrug nimmt
nnd ins LLmpchen Sl eingießt, sich an ihrer Fußfaschung zu schaffen
macheird) Ietz' gehn i mir mein Zeah frisch verbinde! Vcrfluechte Ratze-
viecher do unte! (Verschwindet wieder in der Tiefe und schließt die
Falltüre.)

Dolf (immerfort Bäschen wie in heiliger Ehrfurcht und kindlicher
Freude ansehcnd. Schüchtern): Ein Maienkränzlein hab' ich gewundcn!

Bäschen (nimmt das Kränzlein. In kindlicher Freude herum-
hüpfend): Ein Kränzlein, blühweiß und fein! Es könnt feiner nicht
sein! Und das blühweißfeine Kränzlein ist mein? (Setzt sich das Kränz-
lein aufs Haar.)

Dolf (führt sie wie ein junger Kavalier ehrerbietig den Laufteppich
entlang, gegen die Maucrnische hin, während Bater und Mutter gcrührt
zusehen; Dolf hält Bäschen, die, am Ende der zu kurzen Strohmatte
angelangt, ihr Füßchen eben auf den ungedielten Kellerboden setzen will,
ganz erschrocken zurück): Nicht . . . mit deinen Füßchen auf den bloßen
Boden! (Weiß sich keinen Rat; hilflos zur Mutter) Mutter! Der Teppich
ist zu kurz!

Mutter (lächelnd, die Achseln zuckend): Er ist nicht länger!

(Dolf schlüpft rasch entschlossen aus seinem Röcklein, breitet es sorg-
sam an Stelle des fehlenden Teppichs auf dem Boden aus und führt
nun Bäschen darüber hinweg in die Nische, wo sich Bäschen wie eine
kleine Königin ip den Armstuhl setzt, während ihr Dolf, ehrfürchtig vor ihr
kniend, den Fußschemel zurechtrückt.)

Rauschenplat (der ebenso wie die Mutter in großer Rührung
dem Tun der Kindcr zugesehen, glücklich, gegcn die Eingangstür gewendet):
Durchlauchtigster Fürst! Ich freu' mich meines Lebens! Ich lebe! Ich
lache!

(Dolf ohne sich von den Knien zu erheben, nimmt die Geige zur Hand
und beginnt, in Ehrfurcht vor Bäschen kniend, wie verzückt, wunderlicblich
zu geigen, während Vater und Mutter in Andacht versunken zuhören.)
(In der Höhe des halbblinden Kellerfensterchens werden eilige Schritte

vcrnehmbar.)

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