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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0221
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Im übrigen erweist der Inhalt dieser Bekenntnisse aus vier Iahr-
zehnten sich glücklicherweise dennoch als reich und vielfältig genug, um
das Peinigende meist wieder zurückzudrängen. Im Charakter Liliencrons,
der als ein echter Künstler so ziemlich alle menschenmöglichen Eigen-
schaften mit Ausnahme der gemeinen in sich schließt, zeigt sich cin so un-
aufhörlicher Wechsel der Empfindungen, daß man nicht müde wird,
zu folgen. Dehmel hat völlig recht, wenn er eine lange Reihe von Gegen-
sätzcn — Optimist-Pessimist, Realist-Phantast, Idylliker-Ironiker usf. —
vorführt, die alle in Liliencrons Seele stecken, und sogar wenn er sagt:
„'Man mag von ihm aussagen, was man will: es ist immcr auch das
Gegenteil wahr." Dasselbc läßt sich, nicht zufällig, etwa auch von
Shakespere sagen oder von dcr Natur selbst.

Bierbaum und Freunde aus Liliencrons literarischen Anfängen sind,
bei bester Meinung, mitschuldig, wenn der Dichter des „Poggfrcd" und
so mancher tiefernsten Vision von vielen bloß als fideler Lebenskünstler,
als „Tschingdada- und Hopsasa-Held" mit feudalem Einschlag gekannt
wird. And er selbst ist mindestens durch die im tiefsten Grund geringschätzige
Art, mit der er den Fernstehenden nur den Bruder Liederlich oder den
feudalen Liebhaber zeigte, mitschuldig daran. Erst aus den Briefen
wird es zum Beispiel klar, daß trotz seinem gegenteiligcn Ausspruch auch
ein ausgezeichneter Kritiker in ihm lebte, nicht ein Kritiker für alles (zum
Beispiel nicht fürs Drama), aber doch für die Beurteilung von Mcnschen,
Gedichten und vielem mchr.

Auch eine Entwicklung läßt sich diesem besonderen Lyriker nachweisen.
In den Briefen des ersten Zeitabschnitts, diesen unersetzlichcn Herzens-
ergießungen an den Kameraden Ernst Frhrn. von Seckcndorff, ohne
die wir über diese Frühzeit nichts erfahren würden, sehen wir einen
weichherzigen Iüngling von edlem Streben, zu seinem eigncn Leidwescn
noch ungefestet in den Grundsätzen und unklar übcr die Lebensziele.

Alles, was nachmals Zierde des Dichters bedeutet, ist hier allerdings
schon im Keim zu entdecken: das Soldatenleben, so sehr es ihn anzieht,
kann ihn doch nicht ausfüllen; Träumen, Sichbilden, Kunst erleben gibt
ihm doch schon das meiste; die Licbe zum Weib ist schon in aller Stärke
wach, aber neben jugendlichem Getändel zeigt sich eine schwärmerische
Verehrung für das reine und wertvolle Mädchen.

Wclch ein Weg von da bis zu dem ernüchtertcn, halb verbitterten,
halb humoristischen Lebensbetrachter und aufrichtig-zynischen Liebesgnnst-
genicßer seiner fünfziger Iahre! Welcher Weg auch von dem harmloscn
Leutnant bis zum vielgeprüften Hardesvogt a. D. und Aberbrettl-Direk-
tor, vom schüchtern beginnenden Verseschmied bis zum kunstbewußtcn
und gefeierten Dichter der Nation.

Line Beichte, ein Schicksal, eine Mahnung, cin Kunstwcrk: dies alles
und noch mehr birgt sich in Detlev von Liliencrons Briefen. Unmöglich,
ihnen hier gerecht zu werden. Selbst mit unsern Probcn könncn wir
nur an einzelnes Wenige rühren. Willy Rath^

V

^^ch habe eben sehr lange am Klavier gesessen und andern Leuten vor-
^U gespielt. Ich unterscheide eigentlich zweierlei Spielen: für andere und
^/für mich. Wenn ich letzteres tue, so kommen mir stets viele phan-
tastische Gedanken, und, mon eder, daß ich „sie" nicht los werde. Oft denke


Kunstwart XXI V, 9
 
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