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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0222
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ich so glühend daran, und dann bei meinen Spaziergängen, oder wenn ich
allein auf meiner Stube bin nnd in dic Nacht hinaussehe. — Aber
meinem Schreibtisch hier hängt ein schlechtes altes Slgemälde, das meinem
Vater gehört: eine „Mondlandschaft", See, Bäume, altes Schloß, ein
kleiner Bach, alles vom „fahlen" Lichte des Mondes übergossen. Es ist,
was Kunstwert anbelangt, glaube ich, ein jämmerliches Machwerk, abcr
meine Phantasie hat es von Kindheit auf erregt. Auch jetzt möchte ich
mich so gerne in eine herrliche Sommernacht versetzen mit Mondschein und
einem dunkeläugigen Mädchen — o Gott, ich schmachte nach der Liebe
eines Wesens: Seckendorff, ohne Liebe ist das Leben nichts — und
gar eine unglückliche Liebe. — Man sagt, daß, wenn man sich Mühe
gibt, einen Gegenstand rasch zu vergessen, man es schnell könnte; ich
habe mir alle erdenkliche Mühe gegeben, aber immer und immer wieder
tritt das Mädchen mit dem mondbleichen Antlitz wieder vor mein inneres
Auge. (An Ernst Freiherrn von Seckendorff, 7. (2. 69)

tzeute ist Sonntag — aber akkurat so langweilig wie überall; wie
das eigentlich häßlich klingt, abgeschmackt, blasiert. Was ich heute morgen
angefangen habe? Höre: Zucrst (sic) bin ich, ohne daß es meine Mama
weiß (die sehr darob erschrecken würde), in der kleinen katholischen Kirche
gewcsen — hörte hübschen Gesang, machte die Augen zu, ließ den
Weihrauch mich umgeben, hörte die Messe, und stand lange, lange an
einen Pfeiler gelehnt (in Zivil natürlich) — vor mir knieten zwei hübsche
Mädchen, und ein alter Mann mit schneeweißem Haar — sie beteten
inbrünstig — ich kam mir vor, als wenn ich am Rhein sei in irgend--
eincr kleinen Kapelle. Nachher fing eine Art Predigt an, aber der
Priester hatte cinen so abscheulichen süddeutschen Dialekt, daß ich mich
wieder herausstahl aus der kleinen Kirche. Sie ist so groß, alles in alles,
wie unscr österreichischcr Saal; mit einigen guten Gcmälden, meistens
Gcschenkcn von zum Katholizismus übergctretcnen hiesigen Edelleutcn.

— Von dort ging ich (in gewisser feierlicher Stimmung) zum Hafen, weitcr
auf wundcrschönen Spaziergängen zum Strande. Vor mir lag die un--
endliche, entzückende See; einige wenige große Schiffe glitten langsam bei
mir vorüber. Auf unsern hicr stationierten Kriegsschiffen war alles toten-
still; — ich lehnte mich wie kurz vorher an eine Säule, an einen herr-
lichen Buchenbaum. Aus der Ferne kamen, in leisen Schwingungen,
TZne der Militärmusik (die wahrscheinlich in Kiel auf der Parade spielte)

— und dies alles, die herrliche See in tiefem Blau, mit ganz, ganz
leise sich kräuselnden Wellen, die tiefe Stille um mich her, die Töne
der Musik, die um so herrlicher erklangen, je weiter sie herkam — dies
alles, sage ich, brachte mich in jene, von Dir wohl ebenso gekannte Stim-
mung hinein: Man träumt von alten Geschichten, von längst verklungenen
Kindcrmärchen, von lieben Gesichtcrn und licben Mcnschcn — und wenn
man dann aufhört zu träumen, so merkt mau, daß das Herz doch nicht
ganz verdorbcn und gestorben ist.

Seckcndorff, ich bin unzähligcn Stimmungen unterworscn, und ich
glaube, das macht dcn Menschcn nicht glücklich! Wie es einem fast
immer gcht, nämlich, wcnn man sich freut, recht alleine sein zu konuen,
so kommt entschicden etwas dazwischen — und richtig, plötzlich, ich hatte
mich um die ganze Welt nicht bckümmcrt und nichts bemerkt, steht ein

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