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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 11 (1. Märzheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0372
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So viele waren's auf laugem Weg,

Die alle lieb mir waren;

Wir gingen zusammen in trautem Gespräch
Mit dunklen und bleichenden Haaren.

Nicht zählen mehr kann ich's, wieviel es sind,

Die Lippen und Augen hatten;

Mir ist, mit Stimmen redet der Wind,

Die Sonne wirft neben mir Schatten.

Herauf klopft das Herz auf der cinsamen Flur
Mir im Drängen vor Freuden und Schmerzen;

Es tickt mit drängender Hast die Uhr
Mir auf dem klopfenden Herzen.

Aus Ottomar Enkings „Kind"

^Enkings Stück* vom „gottgewollten Mißverstehn zwischen Eltern und
Kindern" hat Düsel im vorigen Kunstwarthefte gclegentlich der erfolg-
reichen Berliner Erstaufführung besprochen. „Unmittelbarer aus unserm
tagtäglichen Leben kann ein Gemütskonflikt nicht gut gegriffen werden als
diescr zwischen den beiden alten Knees, »klein Pappa« und »klein Mamma«,
die in der altgeheiligten Koggcnstedter Moral leben und sterben, und ihrer
Tochter Fda, die auf eigne Faust nach Hamburg geht, sich dort 8an8 kagon
verheiratet, sich aus Gründen besseren wirtschaftlichen Vorwärtskommens
nach kurzem schon mit dem Gedanken der Scheidung trägt und cndlich
gar die Sorge für die ihretwegen heruntergekommenen Alten auf die
eignen Schultern nimmt. Aber alles andre wären Vater und Mutter
Knees am Ende hinweggekommen; aber daß das Kind kein »Kind« mehr
sein will, daß es ihnen so offen und deutlich zu verstehen gibt: meinet-
wegen seid ihr jctzt überflüssig, ich kann auf meinen selbeignen Füßen
gehcn, brauche weder euer Geld noch eure Sorgen — das bricht ihnen
schier das Herz entzwei. Denn Kind soll Kind, und Eltern sollen Eltern
bleiben: so stcht es im Pflichtenbuch der Koggenstedter Stadt- und Lebens-
anschauung, so steht es in ihren treuen Herzen und in ihrer opferfreudigen
Seele. Ihr meint doch nicht etwa, das müßte ein Trost oder wohl gar
eine Freude für sie sein, daß aus der Ida, die so weit vom Stamm gefallen,
in der Fremde trotz alledem ein tüchtiger Mensch, eine tapfere Persönlich-
keit geworden ist? Ach nein, sie sehen immer nur das eine: sie ist anders
als wir, und sie ist das, was sie ist, auf eignen Wegen, ohne unsern
Willen, ohüe unser Zutun geworden, und in Zukunft werden nicht wir
ihr, sondern wird sie unser Leben gcstaltcn und betreuen. Lieber Gott im
Himmel, was sind wir glücklichen alten Leute für arme, unglückliche Eltern!"

Wir geben das meiste des letzten Aktes. Die Alten haben ihr Häuschen
verkauft, um für „das Kind" die Zinsen einbringen zu können, da ein
der Tochter zugefallenes Vermächtnis durch einen Bankkrach verloren-
gegangen ist — aber sie fühlen sich in der nenen Wohnung höchst un-
gemütlich. Sparen, sparen für Ida, der sie den Verlust nicht gesagt
haben, das ist die Losung.sj

* Es ist als Buch bei Karl Reißner in Dresden erschienen.


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