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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 11 (1. Märzheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0373
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Frau Knees: Wenn das Kind ahnte . . .

Knees: Das ist auch mit die Strafe für unser Lügen, daß wir es
jetzt so schlecht haben. Wir hätten damals sagen sollen: Kind, dein Geld
ist weg. Wir haben es nach bestem Wissen und Gewisscn auf die Bank
hingesetzt, und wir wollen dir gebcn, was wir uns absparen können, aber
weg ist weg. Statt dessen: was haben wir getan? Oder — daß ich es
man richtig sage — was hast du getan?

Frau Knees: Ich konnte es nicht anders übers Herz bringen.

Knees: Hingeschrieben hast du, wir hätten das Geld vorher auf die
Sparkasse gebracht. Das hab ich gelitten. Stehler und Hehler.

Frau Knees: Wir haben da ja auch Geld stehen. Rnser Geld
ist auch Idas Geld, sagst du selber. So ist es doch einerlei, wer das Geld
verloren hat.

Knees: Und wenn wir sterben? Wie wird es denn mit der Erbschaft?

Frau Knees: Bis dahin legen wir was zurück, mein klein Pappa.

K n e es: Siehst du? Zurücklegen! Hier, nimm mal das Stück Schinken.
Ich esse das Brot so. Zurücklegen? Die Elftausend? Da müssen wir
lange leben!

Frau Knees: Wenn wir mal tot sind, hat das Kind es am Ende
gar nicht nötig. Ihr Mann verdient ja doch gut.

Knees: Das schreibt sie. Aber ob sie uns nicht cbensogut was vor-
lügt wie wir ihr? Es ist alles so unsicher um mich. Ich glaub mir
selber bald nicht mehr. Ich sag mir manchmal, sie hat Ausschelte gekriegt,
wenn sie uns was verheimlichte, uud wie stehen wir nun vor ihr da?
Ich fühle jetzt erst recht was gegen meine Ehre. Und wenn Ida hört ...

Frau Knees: Vloß nichts sagen, klein Pappa. Sie wird ja furcht--
bar traurig.

Knees: Lügen haben kurze Beine. Was glaubst du? Soll sie wohl
nichts merken, wenn sie das hier sieht? Diese Dachkammern.

Frau Knees: Ich hab alles so schön rein gemacht.

Knees: Nützt auch was. Meine Tochter läßt sich kein R für ein U
machen. Alles unsicher. Ich mag nicht mal zu Kirche gehen.

Frau Knees: Das mochtest dn früher auch nicht gerne.

Knees: War was andres. Da war ich ein großer Mann und hatte
es nicht nötig, daß mir einer was vom Himmel erzählte, wo wir noch
mal hinkommen sollen und wo alles seine gerechte Ordnung hat. Aber
jetzt, siehst du, hätt ich es nötig. Das hier auf Erden paßt mir nicht, und
denn läßt man sich gerne was erzählen von den himmlischen Heerscharen.
Deshalb braucht man ja noch lange nicht alles zu glauben. Nötig hab
ich es, aber nun genier ich mich. Ein Lügenpott paßt nicht in die Kirche,
sag ich mir. Wenn du was willst, schreib erst offen und ehrlich an Frau
Ida Zipanowsky, geborene Knees: „Liebes Kind! So und so. Das Geld
ist futsch." Wenn du das geschrieben hast, sag ich zu mir, denn kannst du
auch zu Kirche gehen. Bloß — das ist ja allerdings auch so — denn hätt
ich es wieder nicht mehr nötig. Auf die Art komm ich nie zu Kirche.
Und sonst weiß ich auch nicht, wohin. So unruhig bin ich.

Frau Knees: Ach, wenn Ida doch licbe.r gar nicht her käme.

Knees: Das möcht ich auch. Und es scheint auch so. Geschrieben
hat sie: „So um den dreizehnten August herum." Seitdem sitzen wir
hier und lauern. Scitdem haben wir das Plakat da. Ieden Tag les

306 Kunstwart XXIV, ss
 
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