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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 11 (1. Märzheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0388
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Abersicht, wie sie von Zeit zu Zeit
immer wieder notwendig wird. Als
mehr oder minder bedeutsam ein-
geführte Dichter erkennen wir da-
bei Otto Borngräber, Felix
Braun, Paul Friedrich,
Kurt Walter Goldschmidt,
Ernst Lissauer, Ernst Schur,
Toni Schwabe. Als wirklich
neue Leute erscheinen wenigstens
uns: Oskar Maurus Fon-
tana (Wiener; geboren (888),
Hans von Günther (Kurlän-
der; (886), Adolf Kramer (Wie-
ner; (8?9), Alfred von Lieber
(Sachse; (883), Gerda von No-
bertus (Dresdnerin; (873), Ar-
tur Silbergleit (Schlesier;
(886), Fritz Stöber (Westfale;
(87^), KurtHans Willecke (ge-
boren Stutthof, (879). Dichte-
rischen Wcsens eutbehrt keincr und
keine der Fünfzehn. Reinst lyrische
und zugleich eigenkräftige Natur
bleibt auch unter ihnen vereinzelt.

Otto Borngräber, von
seinen Dramen her als dcnkerischcs
Temperament bekannt, gibt hier
mehr Gedachtes als Gedichtetes.
Recht in seinem kosmischen Sturm
und Drang zeigt ihn „Föhne" oder
„Künstlers Wandersang" mit die-
sem Anfang:

„Ich wandre durch Wetter und
Sturm.

Am mich ächzen die alternden
Eichen,

es bricht ihre trotzige Kraft.
Um mich zittern die jugendfrischen
Tannen,

es zagt ihr himmelanstrebender
Mut,

ihr jugendlich göttlich Mitmir-
wollen!

Es stürzen die Spitzen (?) zu
Tal . . .«

Das ist nicht bloß reimlose, svn-
dern schließlich formlose Dichtung.
Heftiges Häufen gesuchter, vergewal-
tigter Worte, gelegcntlichc Unklar-

heit, sonst durchweg übcrgroße Klar-
heit des Reflektierten und drama-
tisch Pointiertcn — ein Hhmnisches
Unvermögen im lyrischen Gestal-
ten. Bisweilen ein Versuch zur
Schlichtheit, eine Wendung zur
Liebeslyrik; allein auch dort, selbst
in gleichmäßig gcbauten und ge-
reimten Strophen, kein gefühls-
mäßig lebendiger Rhythmus, keiue
geschlossene und eigentümlich er-
schlossene Stimmung, nichts vom
Reiz des Verhaltenen. Worte, die
den Bildungsmenschen verraten
(sehnsuchttief, sehnsuchtschwer, in
langendem Leide, himmclanstrebend,
hehres Rauschen, heilig Raunen)
— spärliche und unanschaulich
blasse, allgemeine Bilder (dic Flu-
ten, die Trauerweide, die schwei-
gende Nacht) — selbstgemachte Wör-
ter (Zwiegebet, sommerschön, Mit-
mirwollen, wetterumwühlt, grauen-
umgrüßt, blitzumbrandet, sturm-
überjauchzend) statt selbstgeschauten
Lebens — viel Ausrufezeichen und
Gedankenstriche und immer nur wie-
der wollende Worte. Eine Persön-
lichkeit, scheint's, aber ein Schul-
beispiel des Nichtlyrikers.

Der Herausgeber, Paul Fried-
rich, scheint manchmal eine rein
lyrische halbe Stunde zu erlcben
und zu nützen. Dann glückt ihm
eine Stimmung wie „Mittags-
glast«:

„Kornmuhme flirrt mit tödlich
heißem Munde

Durchs reife Korn und seine gold-
nen Fluten;

Der hohe Mittag brütet in der
Runde,

Die Luft liegt ausgetrocknet in den
Gluten —

Schlummre nicht ein! Denn jetzt
ist Zauberstunde —

Im Walde raunt der Sommer mit
den Druden —

Die Sonnc flammt wie einc tiefe
Wunde,

(. Märzheft (9(( 32(
 
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