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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 11 (1. Märzheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0387
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Auftrag eine „Gesellschaft für Lite-
ratur und Kunst: Neues Leben";
Iulius Hart wurde bewogen,
eiu Vorwort beizusteuern; der Band
erhielt den Titel: „Neuland,
Ein Buch jüngstdeutscher Lhrik" und
überdies eine Umschlagbinde mit
folgeuder rotleuchtendeu Aufschrift
(deren erster Satz unterstrichen
ward): „Das moderne Haus-
buch deutscher Lhrik! Neue
Dichter, die sine Zukunft haben!"

Man hätte eiufacher auftreteu
dürfen. Die Gesellschaft für Lite-
ratur und Kunst „Neues Leben"
ist mir uud den allermeisten Leuten
bis jetzt eine unbekannte Größe. Das
Vorwort Iulius Harts schmeckt ein
wenig nach unnötig bemühter Lie-
beuswürdigkeit. Wenn es iu den
„sehr verschiedeueu Gedichten sehr
verschiedener Dichter" einen einheit-
lichen Grundzug entdeckt, nämlich
Ideal- nnd Ideenlhrik, kosmisches
Empfinden, so hat das ja etwas für
sich, faßt aber doch das Einheit-
liche wohl zu weit und trifft auch
nicht jedes dieser Gedichte. Die
Worte „Neuland" (vergl. C.
Flaischlcns Prosasammlung von
WU und „jüngstdeutsch" sind nn-
frische, nnscharfe Werte. Ein oder
gar „das" moderne Hansbuch deut-
scher Lhrik darf dieses Buch sich
ernstlich gar nicht nennen, ohne sich
selbst zn entwerten. Ohne solchen
Anspruch ist es eine wohlbercchtigte
persönliche Auswahl; dnrch den An-
spruch würde es sich sofort in eine
sehr willkürliche, äußerst lücken-
hafte Zusammenstellung verwan-
deln. Und schließlich, ob diese neuen
Dichter alle eine Zukunft haben,
dies eben soll sich erst entscheiden.

Man könnte sogar bestreiten, daß
ein Nenland im strengsten Wort-
sinn innerhalb der lyrischen Welt
noch entdeckbar sei. Lhrik, die fremd-
stofflose Poesiegattung, vermengt
sich so wenig mit der wechselnden

Ieitlichkeit, daß völlig nenartige Ge-
bilde in ihr kaum mehr möglich
scheinen. Alle erfindlichcn lyrischen
Grundformcn müßten längst gefun-
den sein, sollte man denken. Und
in der Tat: ein großer Teil der
hier gebotenen Dichtungen könnte
in eincr andern oder gar in jcder
andern Zeit entstanden sein. Wir
leben ja in einer Epoche des Zucht-
strebens; selbstverständlich spiegelt
die gegenwärtige Lhrik den kcnn-
zeichnenden Zug, die Nnterordnung
der persönlichen Willkür unter das
Kultnrideal, die Bändigung des
triebhaft Unruhigcn durch tunlichst
gereifte Form. Das trägt dazu bei,
die Entdeckung etwa noch im Reich
der lhrischen Möglichkeiten verbor-
genen Neulands aufzuhalten; denn
zu Entdeckertaten gehört mehr
Kühnheit als Neife.

Dcnnoch: vergleichcn wir die
feinsten, eigensten Lhrikproben der
neuen Sammlung mit Gedichten
aus vergangenen Zeitabschnitten, so
werden wir hie und da doch neu
anmutende Schatticrungcn gewahr
werden. Als gemeinsamer moder-
ner Zug bleibt uns viellcicht ein
Unterton kulturtriefcnder Aberbe-
wußtheit. Doch wirklich neu ist der
auch nicht mehr. Alles in allem
läuft's nicht sowohl auf neues Land
hinaus, als auf neue Leute; wo°
bei anzumerken ist, daß etliche und
nicht die Schwächsten der Fünf-
zehn immerhin schon seit eiu paar
Iahrcn im literarischen Lcben be°
merkt werden.

Wir wollen annehmen, dcr neue
Verscband wäre so schlicht benam-
set, wie es zu wünschen war. Etwa:
„Nene Lente", Proben zeitgenössi-
scher Lhrik, oder kurzweg: „Iün-
gere Lyriker". Dann dürfen wir
zngeben, daß dies Bnch eine allcr-
meist feinfühlige Auswahl und eine
verdienstliche Zusammenstcllung
jüngerer Talente bedeutet, eine

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