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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 12 (2. Märzheft 1911)
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Bonus, Arthur: Vom Spannungsbedürfnis: ein Kapitel vom Wesen und Nutzen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0454
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sonöertes Ganzes aufzufassen und von sonstigen Mitteilungen zu
unterscheiden. Äberhaupt bei ihr zu bleiben, bis sie zu Lnde ist.

Die Llemente dieser Spannung werden sich mit der Verfeinerung
der Menschen, an welche die Kunst sich wendet, unendlich verfeinern,
aber sie selbst wird bleiben, und noch einem so reinen Charakter-- und
Gedankendrama gegenüber, wie es etwa der Tasso ist, wird der dafür
reife Leser gespannt darauf sein, wie der Konflikt in den Charakteren
sich lösen wolle.

Möglichenfalls ist die Spannung auch das Element gewesen, mit
dessen Entdeckung sozusagen die Erzählung als Kunst allererst begann.
Ich habe vor Iahren einmal hier im Kunstwart (I. Iuniheft 1905) die
Vermutung ausgesprochen, daß die Kunst der Erzählung aus der
Zaubergeschichte, die der älteste Mythus war, entstanden sei. Der
Sinn der Zaubergeschichte ist der, daß eine Schwierigkeit, deren Lösung
man durch Zauber herbeiführen will, in die Geisterwelt verlegt und
dort durch Göttermachtspruch gelöst wurde, eine Lösung, die man
nun in der schwachen Welt der gewöhnlichen Wirklichkeit nachzuer--
warten sich berechtigt fand.

Ich bitte um die Erlaubnis, einige Sätze von damals hier her-
zusetzen: „Es handelt sich darum, wie Erzählungs k u n st entstanden sei,
d. h. wie man über Mitteilungen hinaus, deren Wert und Bedeutung
mit dem ersten Anhören erlosch, einen Vorgang sich gegenüberzustellen
und festzuhalten den Zwang erleben konnte. Die Mitteilung mußte,
damit sie eine behaltbare, d. h. eine lebensfähige Form bekäme, einen
Konzentrationspunkt enthalten, um den herumgruppiert die einzelnen
Vorstellungen sich halten konnten, nachdem das erste Mitteilungs-
interesse vorüber war. . . Dies bot nun der Zauber, indem er eine
Verwicklung oder Schwierigkeit oder Gefahr hinstellte, aus der er
eine Lösung zeigte. Damit sind die selbständig machenden, aus dem
gewöhnlichen Fluß des Lebens abhebenden Elemente gegeben. In
ihrem Ineinandergreifen bildet sich erstmalig eine geistige Einheit
gegenüber den vorüberströmenden Ereignissen. Das Konstituierende
der Erzählung ist da."

Die Schwierigkeit und ihre Lösung, die bilden eben das Element
der Spannung.

Schließlich vvn hier aus noch ein kurzes Wort von der Rück-
wirkung der Kunst auf das Leben. Nicht zwar der, welche die Zauber-
Geschichte erhoffte, obwohl auch in dieser Richtung von wirklichen und
wahrhaftigen Wirkungen gar wohl gehandelt werden könnte, sondern
einer einfacheren, mehr im Elementaren bleibenden Rückwirkung:
nämlich der Feilung, Schärfung, Reinigung und Veredlung des Form-
verlangens, aus dem sie hervorging.

Denn mehr noch als die „ernste Arbeit" möchte dieses Schaffen in
Freiheit und zur Erholung den Menschen sehen, hören und ver-
stehen, — kurz den allseitigen Gebrauch seiner Organe gelehrt haben.

Nnd um auf unser besonderes Thema zurückzulenken: es wird kaum
etwas geben, das den Menschen so stark und so aus freiwilliger eigener
Lust heraus dazu angetrieben und ausgerüstet haben wird, auf die
Zusammenhänge des Lebens, der Charaktere, der Schicksale zu achten,
als die Befriedigung seines Spannungsbedürfnisses durch freie Er-

2. MLrzheft IZU 369
 
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