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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 20 (2. Juliheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0146
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liegt um ihre blonden Flechten
die stille, ruhig lächelnde Glorie
der Resignation. Aus der sichern
Festung ihrer geduldigen, verständ-
nisvollen Kameradschast läßt sie
sich auch dann nicht aufschrecken,
als eine junge Russin, die schwär-
merische Anbeterin der Blenderin
Hanna Elias, ihren Freund, das
leicht entzündliche, bald gewonnene,
weil ach! in sich so befriedigte und
ausgeglichene Weltkind, ein Weil-
chen in die Netze ihrer naiven,
fremdartig lockenden Amschuld zieht.
Wie tröstlich, daß Hauptmann die
Hände dieser beiden, deren Bund
im Himmel geschlossen ist, durch
den Fall Gabriel Schillings, den
sie mit all ihrer Liebe nicht auf-
zuhalten vermögen, nur um so
fester zusammenflicht!

Es ist ein Krankheitsfall, den
Hauptmann zu jäher Katastrophe
geführt hat — stärker, als nötig
war, hat er selbst das durch den
Arzt, ein prächtiges, resolutes und
solides Exemplar der häufig bei
ihm vertretenen Gattung, betonen
lassen. So dürfen wir, durch seine
passive Dramatik längst daran ge-
Wöhnt, hier am wenigsten jene
dramatische Aktivität erwarten, die
desto kraftvoller ihre Arme regt,
je heftiger das Schicksal gegen sie
anstürmt. Nur der Natur, seiner
Mutt , und den Elementen, seinen
Geschwistern, zeigt der Künstler
Gabriel Schilling seinen inneren
Frohsinn, seinen Lebensmut und
seine Tapferkeit; vor den Men-
schen, die ihm an den Kragen wol-
len, streckt er fast widerstandslos
die Waffen. Es wäre verlorene
Liebesmüh, über diesen chronischen
Mangel der Hauptmannischen Dra-
matik heute noch zu jammern,
wie es vergeblich wäre, weite gei-
stige Horizonte und aufbauende
Seelenkräfte von ihm zu fordern.
Auch wollen wir uns durch die

2. Iuliheft W2

vehemente Explosion, die die „Liebe"
der beiden Rivalinnen zu Ende des
vierten Aktes erfährt, nicht täuschen
lassen: gerade diese Szene setzt
den „Helden" völlig matt. Dafür
entschädigt eine schier verschwende-
rische Fülle zwecklos künstlerischer,
man möchte mit besonderer Be-
tonung des Wortes sagen: male-
rischer Schönheiten. Keine Dichtung
Hauptmanns ist in der atmosphä-
rischen Luft- und Lichtstimmung so
echt, so rein und lauter wie diese.
And nicht bloß das realistisch-greif-
bare, Meer und Strand, Fischer-
hütte und Wirtshaus, tritt leben-
atmend vor uns hin, nein, auch das
Mystische, das geheimnisvolle, selt-
sam erregend hinter den Dingen
der Wirklichkeit winkende und po-
chende Raunen einer noch uner-
gründeten Welt spricht zu uns,
und während sich dabei oft so leicht
Schauer mit Lächerlichkeiten, Er-
habenheiten mit Iämmerlichkeiten
mischen, vertieft und lichtet sich
hier einmal alles Wirkliche durch
das Anwirkliche, alles Diesseitige
durch das Ienseitige. Die Ver-
schlungenheit von Tod und Leben,
Tag und Traum steht wie ein Ehr-
furcht gebietendes Gestirn über die-
sen fünf Akten. . . .

Die letzte Probe auf die Büh-
nenwirksamkeit des Stückes ist in
Lauchstedt nicht gemacht worden.
Am die Shmphonie der Meeres-
stimmen zu fassen und widerzuhal-
len, ist die kleine Bühne viel zu
schmal und schmächtig. Oder sind
wir, verwöhnt durch andre Meister
Miedings, zu illusionsarm dafür
geworden? Auch fehlte neben den
drei starken, alles Wollen des
Dichters erschöpfenden weiblichen
Darstellerkräften (Tilla Durieux:
Hanna Elias; Rosa Bertens: Eve-
line Schilling; Helene Thimig: Lu-
cie Heil) schon dem Ottfried Mäu-
rer Otto Gebührs die feine gei-
 
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