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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 20 (2. Juliheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0151
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französischer Einschlag, der feine
Duft eines französischen Parfüms.
Man wird schwerlich in der Kla--
vierliteratur dieser Gattung neben
den Chopinschen Walzern noch
Stücke sinden, die graziöser, nrelo--
disch einschmeichelnder und har-
monisch interessanter sind als etwa
Schütts op-, 20 Nr. 6, op. 6H Nr. l,
op. 73 sVal8e8 äialoZue^), op. 76,
op. 59 Nr. 2, op. 78 Nr. H und
vor allem die hochpoetischen »<üro-
gui8 et 8iIkoue1te8" op. 87. Aus
der Bevorzugung dieser Tanzform
erklären sich wohl auch seine köst-
lichen, virtuosen Paraphrasen
Straußscher Walzer. An poetischem
Gehalt stehen sie weit über den
Lausigschen Walzer-Kaprizen als
wahrhaft kongeniale Ausdeutungen
eines Dichters durch einen Dichter,
an virtuosem Schwung sind sie
ihnen zum mindesten ebenbürtig —
in jedem Falle sind sie moderner
und für Spieler wie Zuhörer dank-
barer als jene — eine endgültige
Eroberung Straußscher Orchester-
dichtung für das Klavier.

Nun liegt allerdings auch in
Schütts Musik die Schönheit
keineswegs immer so auf der Ober-
fläche, daß man sie nur so hinweg-
zunehmen brauchte. Schon vom
technischen Standpunkt aus ist sie
schwer, zum Teil sehr schwer, denn
sie setzt eine enge Vertrautheit mit
Chopin voraus, die gleiche Indi-
vidualisierung der Finger, die
gleiche Fähigkeit, auf dem Instru-
mente zu „singen" und vor allem
eine leichte Hand. Schütts musika-
lische Gebilde sind oft von so elfen-
hafter Zartheit, daß ein robustes
Zugreifen sie zerbrechen würde. In
Stücken wie „^erenacje äe l-Iarle-
guin«, „pjerrot reveur", „lromancs
ä'amour" und anderen erscheint das
Klavier fast entmaterialisiert, aus
dem breit dahinsließenden Strome
einer wundervollen Lyrik tauchen

Kantilenen auf von einer wun-
derbaren Schönheit und schwärme-
rischen Innigkeit, so daß man
oft die Worte dazu zu ver-
nehmen meint: wer da nicht
einen leichten, gesangvollen An-
schlag hat, der lasse lieber die
Finger davon.

And wiederum werden nur
Menschen von tiefem poetischen
Empfinden eine solche pshchologisch
erlebte Musik gut spielen können.
Als jüngeres Glied eimer Entwicke-
lung, die sich vom letzten Beethoven,
besonders aber von Schubert über
Schumann und Chopin bis in
unsere Tage hinerstreckt, ist Schütt
geborner Romantiker und als sol-
cher Programmusiker — das Wort
im weitesten Sinne genommen —,
indem das Moment der musi-
kalischen Schöpfung bei ihm aufs
engste verknüpft ist mit poetischen
Vorstellungen. Flüchtige Lindrücke,
empfangen im Vorübergehen, Stim-
mungen aus Tag und Traum, Er-
innerungsbilder und Gegenwär-
tiges, alles verdichtet sich in seiner
Seele zu poetischen Ideen und findet
in Töne gebannt seinen künstle-
rischen Niederschlag. Gelegenheits-
gedichte im Goetheschen Sinne. Zu-
weilen begnügt er sich mit ganz all-
gemeiner Bezeichnung wie Ro-
manze, Impromptu, Silhouette,
meist aber gibt er durch einen
charakteristischen Titel der Auf-
fassung die entsprechende Richtung.
In „Lsrneval miZnon" lebt die alte
rührende Geschichte von Harlequin
und Colombine in Tönen wieder
auf, in den ?3piIIon8 ä'amour rei-
zend charakterisierte Mädchengestal-
ten seines Wiener Verkehrs, wie in
den <ÜLU8erie8-baI, ireverie-bLl und
anderen die Poesie des Ballsaals.
Andere Stücke wie „^u rui88eau«,
„Idylle", „^u dow" sind an Land-
schaftseindrücke und Naturstimmun-
gen angelehnt. Besonders tief emp-

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