Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI issue:
Heft 20 (2. Juliheft 1912)
DOI article:
Rundsschau
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0160
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
lung der Farbe gerade in unse-
rer Zeit zu großem Erfolg gebracht
hat, hat eine intime Wiedergabe
der Form hier kaum begonnen,
obwohl gerade die botanische Welt
an Linie, Fläche und Rhythmus die
strengsten und zartesten Reize bietet.

Die besten künstlerischen Darstel-
lungen von Pslanzen haben be-
kanntlich Holland, Frankreich und
Iapan hervorgebracht. Holländer
und Franzosen gaben die Blumen
gewöhnlich in Zusammenstellungen
von mehreren verschiedenen Arten,
in den Blumenstücken, die Blumen
meist geschmackvoll in einer Base
vereinigt zeigten. Kaum jemals
stellten sie das Wachstum in
freier Natur dar. Es war
nicht das Bestreben, ganze Pslan-
zen als Individuen in ihrer Eigen-
schönheit zu zeigen, sondern das
Hauptziel war die künstliche und
künstlerische Zusammenstellung.

Wenn auch Blumen und Blätter
in Zeichnung und Farbe mit be-
wunderungswürdiger Sorgfalt und
feinstem Gefühl gegeben waren, so
fehlte es doch immer an der freien,
natürlichen Linienschönheit und be-
sonders am Rhythmus, denn diese
Werte gehen verloren, wenn man
die Blumen zum Strauße bindet,
wenn man ihnen überhaupt irgend-
welche Gewalt antut. Ganz her-
vorragende Schöpfer von Pflanzen-
bildern einer völlig andern Art
waren bekanntlich die Iapaner. Mit
virtuosen Pinselstrichen gaben sie
wundervoll lebendige und über-
raschend geschmackvolle dekorative
Malereien, oft von einzelnen Pflan-
zen in ihrer natürlichen Haltung.
Aber einmal fehlte es den Iapa-
nern ost an der Durchbildung der
Feinheiten, und dann vermochten
auch sie die Rhhthmik ihrer Pflan-
zen nicht zur Darstellung zu
bringen.

Ein Kunstwerk, in dem die

Schönheitselemente ohne jede will-
kürliche Stilisierung, sondern ganz
im Geiste der unberührten Natur
herausgearbeitet sind, würde in
bester Weise den Satz begründen,
daß die Pflanze den Ausgangspunkt
für die ästhetische Erziehung des
Auges bilde. Die streng formale
Darstellung erschließt ein nahezu
unbekanntes Reich, wobei in schön-
ster Abwechslung gerade diejenigen
Pflanzen in den Vordergrund des
Interesses treten, die für die Far-
benmalerei wenig Reize bieten.
Dringt solch künstlerisches Forschen
nicht überdies tiefer in das Wesen
des unerklärlichen Schönheitsbe-
griffes ein, da doch natürliche
Schönheit oft als sinnfälliger Aus-
druck einer vielfach leicht zu er-
fassenden Zweckmäßigkeit erscheint?
Oft bietet eine Pflanze in all ihrem
Formenreichtum eine einzige ein»
fache Harmonie, die man klar über-
sehen kann. Ieder Teil, die feinste
Linie, überhaupt alles erscheint als
Glied einer harmonischen Gesamt-
heit. Iedes Kraut bietet in seiner
Art eine so vollkommen rhythmische
und formale Einheit, wie sie den
Ornamentikern, den Architekten und
den Tondichtern als selten erreich-
tes Ideal vorschwebt. Auf keinem
Gebiet der Kunst gab es einen Mei-
ster, der aus eigener Kraft solch
unerschöpflichen Formenreichtum

schaffen konnte, in dem sich nicht
der leiseste Mißklang findet. Wie
die Musik wäre eine Pflanzenkunst,
die dem nachginge, ganz losgelöst
von einem den reinen Kunstgenuß
störenden Inhalt, losgelöst von
menschlichen Beziehungen. Hier gilt
es lediglich durch Augenwahrneh»
mung zu fühlen, den Aufbau der
Pflanze wirklich zu erleben, Leich-
tigkeit und Schwere, Kraftlosigkeit
und Spannung aus ihrer Gestalt zu
empfinden. Während hier straffe
Entschiedenheit oder stolze vornehme

2. Iuliheft W2

s29
 
Annotationen