wenn man so nahestehend dem Phänomen unsrer Zeit gerecht werden will.
Die Formenspraohe der Gegenwart ist zwiespälkig. So reich und massio die
organisch gewachsene, technisch bedingke Gebrauchssorm des kollektwen Lebens
ist, so arm und schwankend erscheink die gestaltete künstlerisch bedingte Kunst-
form des geistigen Lebens. Nuhsorm und Sinnsorm, biotechnische und sym-
bolische Form treten sich immer deutlicher gegenüber. Der Geist des llto-
pischen, der die schöpserische künstlerische Gestaltung bedingt, verarmk mit
dem Fndwiduellen immer mehr. Die codeartigen Gemeinschastssormcn, die
Zweck und Lebenstechnik überall herausbilden, scheinen unserem Optimisnms
hinreichender ErsaH zu sein für die sehlenden Skilsormen, die Weltdeukung
und Kunstgeist gestalten sollten. Schauen wir um uns und greisen irgeudeine
Formenwelt, etwa die des Glases, heraus, so werden wir auch da die Proble-
matik der neuen Form erkennen nnd deuten können.
Die Materialform, die durch kechnische Entstehung mitbestimmend wirkt,
läßt immer große Möglichkeiten und Spielräume offen. Auch die Zweckform,
die durch ihren Gebrauchssinn stark mitsprichk, sormt nicht allein das Glas,
zumal wenn der Zweck der Schau untergeordnet wird und wenn der
Schmuckgedanke vorwaltet. Es ist heute eine starke Bewegung im Schwang,
der Zwecksorm allein alle Rechte und Ausgaben zu sichern, die auch der
Schmucksorm zukamen, und dem Zweck Würde und Wert der Kunst zu
geben. Man wird von dieser sormalen Zweckdiktatur wieder abkommcn und
schließlich der künstlerischen Gestaltung zum Recht verhelsen, zumal wenn
man begriffen hak, daß Lebensstil und Kunststil, Zivilisation und Kulkur,
Gebrauch und Genuß zweierlei sind. Die Zwecksorm ist immer wieder das
ABC, aus das man zurückgreift, wenn die Sprachverwirrung vollkommeu
ist. Frühere Zeiten kehrten zu ihrer „Antike" zurück und meinten damit den
Purismus edler Einsalk und stiller Größe. So wollte auch der Kult der
Vernunft, der nach der sranzösischen Revolution einseHLe und zu der an-
geblich republikanischen Graecomanie sührte, nichks anderes als einen neueu
Zwcck- und Formpurismus. (Warum Purismus so leicht republikanisch wirkt,
ist hier uicht zu enkwickeln. Die Soziologie der Form hak politischen Bei-
geschmack!) Die wachsende Verarmung Deutschlands während der Fran-
zosenzeit führte solgerichkig zn jenem ärmlichen ErsaHempire, das in seincr
bürgerlichen Zweckmäßigkeit als „Biedermeier" das ABC der Konstruktion
und den neuen Formwillen unserer Tage förderte. Die schmucklose Zweckform
war nach der Wiederholung sämtlicher Stile und nach dem kurzen nordischen
Ansturm des dynamisch-ornamentalen Iugendstiles die beste Zufluchk. kl n -
sere „Antike" hieß damals Armuk und heißt heuke Ma-
schine. Es ist bezeichnend, daß heute Biedermeiermöbel kaum noch gekaust
Werden, daß aber in den billigen Abzahlgeschäften der Möbelhändler geschniHte
barock- und renaissanccarkige Kitschmöbel bevorzugt werden. Der Arme will
immer feiner und reicher scheinen als er ist, und wcnn man den Kleinbürger
kratzt, kommt der alte Rentier-Spießer heraus. Das ist die Logik des Glücks-
rades, daß man nur in das Gestrige hinaufsteigk! Das alles ist soziologisch
bedingt und spielt auch für die Kunstform eine bedeutende Rolle. Das Jdeal
der Ärmerm ist reichgeschliffenes Glas — o selige Bakkaratpracht! —, wäh-
rend das Ideal der Reichen heute das schlichte, sparsam geschliffene, edel-
Die Formenspraohe der Gegenwart ist zwiespälkig. So reich und massio die
organisch gewachsene, technisch bedingke Gebrauchssorm des kollektwen Lebens
ist, so arm und schwankend erscheink die gestaltete künstlerisch bedingte Kunst-
form des geistigen Lebens. Nuhsorm und Sinnsorm, biotechnische und sym-
bolische Form treten sich immer deutlicher gegenüber. Der Geist des llto-
pischen, der die schöpserische künstlerische Gestaltung bedingt, verarmk mit
dem Fndwiduellen immer mehr. Die codeartigen Gemeinschastssormcn, die
Zweck und Lebenstechnik überall herausbilden, scheinen unserem Optimisnms
hinreichender ErsaH zu sein für die sehlenden Skilsormen, die Weltdeukung
und Kunstgeist gestalten sollten. Schauen wir um uns und greisen irgeudeine
Formenwelt, etwa die des Glases, heraus, so werden wir auch da die Proble-
matik der neuen Form erkennen nnd deuten können.
Die Materialform, die durch kechnische Entstehung mitbestimmend wirkt,
läßt immer große Möglichkeiten und Spielräume offen. Auch die Zweckform,
die durch ihren Gebrauchssinn stark mitsprichk, sormt nicht allein das Glas,
zumal wenn der Zweck der Schau untergeordnet wird und wenn der
Schmuckgedanke vorwaltet. Es ist heute eine starke Bewegung im Schwang,
der Zwecksorm allein alle Rechte und Ausgaben zu sichern, die auch der
Schmucksorm zukamen, und dem Zweck Würde und Wert der Kunst zu
geben. Man wird von dieser sormalen Zweckdiktatur wieder abkommcn und
schließlich der künstlerischen Gestaltung zum Recht verhelsen, zumal wenn
man begriffen hak, daß Lebensstil und Kunststil, Zivilisation und Kulkur,
Gebrauch und Genuß zweierlei sind. Die Zwecksorm ist immer wieder das
ABC, aus das man zurückgreift, wenn die Sprachverwirrung vollkommeu
ist. Frühere Zeiten kehrten zu ihrer „Antike" zurück und meinten damit den
Purismus edler Einsalk und stiller Größe. So wollte auch der Kult der
Vernunft, der nach der sranzösischen Revolution einseHLe und zu der an-
geblich republikanischen Graecomanie sührte, nichks anderes als einen neueu
Zwcck- und Formpurismus. (Warum Purismus so leicht republikanisch wirkt,
ist hier uicht zu enkwickeln. Die Soziologie der Form hak politischen Bei-
geschmack!) Die wachsende Verarmung Deutschlands während der Fran-
zosenzeit führte solgerichkig zn jenem ärmlichen ErsaHempire, das in seincr
bürgerlichen Zweckmäßigkeit als „Biedermeier" das ABC der Konstruktion
und den neuen Formwillen unserer Tage förderte. Die schmucklose Zweckform
war nach der Wiederholung sämtlicher Stile und nach dem kurzen nordischen
Ansturm des dynamisch-ornamentalen Iugendstiles die beste Zufluchk. kl n -
sere „Antike" hieß damals Armuk und heißt heuke Ma-
schine. Es ist bezeichnend, daß heute Biedermeiermöbel kaum noch gekaust
Werden, daß aber in den billigen Abzahlgeschäften der Möbelhändler geschniHte
barock- und renaissanccarkige Kitschmöbel bevorzugt werden. Der Arme will
immer feiner und reicher scheinen als er ist, und wcnn man den Kleinbürger
kratzt, kommt der alte Rentier-Spießer heraus. Das ist die Logik des Glücks-
rades, daß man nur in das Gestrige hinaufsteigk! Das alles ist soziologisch
bedingt und spielt auch für die Kunstform eine bedeutende Rolle. Das Jdeal
der Ärmerm ist reichgeschliffenes Glas — o selige Bakkaratpracht! —, wäh-
rend das Ideal der Reichen heute das schlichte, sparsam geschliffene, edel-