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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1929)
DOI article:
Alverdes, Paul: Neuere Kriegsliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0471

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Tribüne

Neuere KriegsliLeraLur

Bon Paul Alverdes

t Vs erscheint nützlich, der Betrachtung einiger in der letzten Zeit erschienenen
^-^Schriften, die das Erlebnis oder ein Erlebnis des Krieges zum Gegenstande
haben, einige Bemerkungen voranzustellen. Die Schauplätze dieses Krieges waren
wie die Bedingungen, unter welchen gefochten werden mußte, oon der größten Der-
schiedenheit, ja Gegensätzlichkeit, und beide verwandelten sich mit öen Jahren fort und
sort. Die Kämpser selbst, gemessen an den von beiden Lagern aufgebotenen Massen,
waren nur zum geringsten Teile Soldaten von Berus oder wenigstens von Neigung;
die Menge der Armeen stellte die zu den Wassen geströmte oder gezwungene Staats-
bürgerschaft, von der wiederum, wenigstens bei den Mittelmächten, nur ein Teil
noch sich als Staatsbürger begreifen mochte, während ein anderer und nicht minder
gewichtiger schon sehr bald nach dem Versliegen des ersten Begeisterungg- und Der-
brüderungsrauscheS die Bürgerschast eines ganz neuen, von Grund aus veränderten
StaateS immer dringender ersehnte, ohne doch, wenigstens bis zu den Niederlagen im
August 1918, begründete Hossnung aus die Verwi'rklichung dieses Staates zu
haben. Und endlich waren sie alle an Iahren verschieden voneinander, ost wie der
Dater von dem Sohn. Und damit war notwendig dem einen Greuel und Ruch-
losigkeit, was dem andern das hohe Glück des Abentcuers heißen durste; denn anders
begreist der Jüngling, anders der Mann und anders der Greis das Leben und
den Tod. Es erübrigt sich, noch von den Unterschieden der Abstainmung und der
Bildung zu sprechen: auch sie vermochten es, den einen hochzustimmen, wo der
andere bestensalls gleichgültig blieb; und umgekehrt. Genügc schon dies, um ein-
sehen zu machen, daß man keincm der Mitkämpser oder der Miterlebenden übev-
haupt den Anspruch aus eine auch nur annähernd erschöpsende Darstellung dessen,
waS dieser Krieg gewesen ist, wird zugestehen können. Mögen Landschasten und
Himmel seiner Abenteuer gewechselt haben, so ost und so gründlich sie wollen, —
mit der noch so getreuen und wahrhastigen Niederschrift wird doch keiner über
seine eigene Pcrson hinausgelangen, wenn ihm nicht der GeniuS der Dichtung selber
die Feder sührt. Dann allerdingö vcrwandelt sich das Persönliche zugleich in das
Allgemeine und der Augenblick in das Dauernde. Dieser hohe Glücksfall ist bisher
einzig bei dem Rumänischen Tagebuch Carossas eingetreten.

Und Niederschriften persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse sind es allerdings, ver-
kleidet oder unverkleidet, mit dencn wir es bei der Mehrzahl der hier zu behandelnden
Schriften zu tun haben. Sie sind alle, die Remarque, Ringelnatz, Ginsier, Schlump
und Grabenhorst, zu denen man der Vollständigkeit halber auch noch Glaeserö
„Jahrgang 1902" und Dskar Maria Grass „Wir sind Gefangene" hinzurechnen
dars, als persönliche Bekenntnisse durchauS gültig und unanfechtbar, wenngleich sie
nicht in allen Fällen den Anspruch auf die Teilnahme der Össentlichkeit rechtsertigen
können. Sie sind ungültig und salsch eingefärbt, wo immer die Verfasser eS unter-
nehmen, aus ihrem privaten Erleben herauS den Schluß auf das ganze Stück Welt-
geschichte zu ziehen.

Es ist gar kcin Zweisel, daß es Menschen von der Verfassung dieses unglückseligen
„Ginster" (S. Fischer, Berlin) gibt und immer geben wird, und auch daß
ihre Zahl während des Krieges Legion war. llber den Krieg als solchen besagen
seine Taten und Meinungen kaum etwas, und die Teilnahme an einer Mischung
aus purer Pfissigkeit und Klei'nmüti'gkeit (ich meine Klci'mnüti'gkeit durchaus nicht
im Sinne des Gegenteils jener damals so rasch verdächtig gewordenen „Durchhalte-

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