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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI issue:
Heft 4 (Januarheft 1929)
DOI article:
Strauß, Ludwig: Georg Munk
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0280

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Georg Munk

Don Ludwig Strauß

I.

'd^as Werk Georg Munks umfaßt vier Bücher Erzählungeu (sie sind alle
"^-^im Jnsel-Derlag zu Leipzig erschicuen). Wir werden sie in zeitlicher
Folge betrachten, und dabei kommt uns zugute, daß das erste Buch Erzählun-
geu der Gattung enthält, die nicht nur im Schasfen Munks bislang den größ-
teu Raum einnimmt, sondern in der auch dic Besonderheit dieses Schaffens
am augenfälligsten wird; es ist die Gattung der mythischen Novelle.

Diese Erzählungen nähren sich, so scheint es auf den ersten Blick, aus zwei
einauder fremdeu Elemcnten: einem sichcren und genauen Wissen um die reale
Gebundcnheit natürlichen und mcnschlichen Lebens und einem kühn beschwören-
den Anschaucn mythischer Mächte nnd Geschehnisse, so daß Wirklichkeit und
Sagenwelt überall innig ineinanderwirken. 2lber wer es sonst nichk wüßte,
könntc es aus diescm TLerke ersahren, daß dic beiden Elemente einander nicht
in Wahrheit fremd sind. Wo nämlich der Mythe auf den Grund gesehen
wird, erweiscn sich ihre Gestalten als verdichtete Mächte des wirklichen
Lebens, wo der Realität aus den Grund gesehen wird, erscheincn in ihr Kräfte,
die nicht anders als mychisch wahrgcnommen werden können. Alle echte Dich-
tung, die Realität darstellt, enthält heimlichen Mythos, alle, die Mythos
darstellt, heimliche Realität. Beider ossenbarc Begegnung ist in Georg Munks
novellistischem Werk erzählt. Denn in diesen mythischen Erzählungen ist die
Realitäk uicht etwa nur „auch" da, — das Gesättigtsein, das strenge Erfülltsein
des ganzeu Erzählungsraums mit ihr ist ein wesentliches Kennzeichen dieses
Wcrks. Und es ist nicht so, wie oft in romantischer und moderner Sagen-
dichtung, daß ein dämmriges Licht die Dinge märchenhaft verschweben läßk,
so daß das Hereinbrechen einer Sagenwelt durch die gelockerten Fugen der
saktischen Welt, durch ihren weichenden Stoss lcicht geschehen mag. Sondern
uüchtern hart bestcht hier die Landschast auf sich, Städke und Dörfer, Klöster
und Güker in ihr, und der Mensch keineswegs nur mik Gesühl und Ahnuug,
sondcrn zuerst niik seincm Nntzen und Schaden der Gesellschast und Land-
schast verbunden, Segen und Gefahr um sich nichk nur für seine Seele; Amt
odcr Wirtschaft gründet fast überall sein Leben ins Praktische, mag es noch so
hoch darüber wachsen. Aus krästigen Begierden erwächsk ein Jnteressenkamps,
der ohne alle Idealisierung wirksam gelassen wird. Kein Entfalkungsraum
bleibt sür spielcnde Märchenphantasie, und keine Undichtigkeit, durch die Ge-
stalken träumerischer Willkür sich einschleichen könnken. Aber mitten im Herzen
dieser Wirklichkeit erheben sich die Gewalten und treten den Menschen an.
Aus Lufk und Grund, Wasser und Berg, aus dem eignen Hang und Tun
der Menschen, aus den Beziehungen, nüt denen sie den Naum zwischen sich
beleben, erwachsen menschengestaltig die Mächte, mit Blick und Stimme, die
lonst lautlos und blicklos im geheimen unscr Leben durchwirken.

Realität und Mythe sind also im Umkreis dieses Werks nicht im Wider-
spruch mikeinander. Der Widerstreit, der es mit tragischer Spannung erfüllk,
ist eiu anderer: der zwischen meuschlicher Ordnung und elementarischer Ge-
walt. Wobei wiederum die Ordnung nicht als unfest und so den Gewalten
 
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