XXXXII. IxmroLKL
Gotthold Ephraim Lesjlng
(Zu seinem 200. GeburLskage)
Von Hans Rupe
„Oen wahren Weg einschlagen ist ost bloßes Glüch nm
ben rechken Weg beküinmert zu sein gibt allein Veröienst."
'S gilr in diesen Zeilen nichl, Lessing als Bundesgenossen anzurufeu odcr
^ als, jetzl ungefährlichen, Gegner heraus;ufordern, wie die Literalurhistoriker
ältereu und neuercn Schlages zu Lun pflegen. Wer wie er, als Llnzeitgemäßer
geboreu, nicht sowohl gegen Einzelne als gegen seine Zeit im Kampfe gestandeu
hat, spottet uoch des Maßstabes und Nachruhms unserer Zeit, in der er viel-
leichk auch als Llnzeikgemäßer leben, kämpfen und siegreich unterliegeu würde.
Llnzeitgemäß? War nicht gerade er der ersüllende, wolkenzertcilende Genius
sciner Zeit, ihr Vater und Zuchtmcister, der ruhmgekrönte Dichtcr nnd Kriti-
ker der Aufklärung, der Bahnbrecher unserer Literatur? Llnd dennoch unzeik-
gemäß! Denn sein Geist forderte eine Glcichung, die weder e r der Zeit, noch
die Zeit ihm zu löscn vermochte. Goethe rührt an das Problem, wenn cr zu
Eckcrmann bemerkt, daß Lessing sich am liebsten in der Negion der Widersprüche
und Zweifcl aufhalte; er selbst dagegcn habe sich nie auf Widcrsprüche einge-
lasseu: „Dic Zweifel habe ich in mcinem Jnnern auszugleichen gcsucht, und
nur die gefundenen Nesultake habe ich ausgesprochen." In der Tat könnte man
den lehten Satz umdrehen: dcr rcife Lessing habe seinc Zwcifel geäußert und
seine Resultatc für sich behalten. — Oder sollten es keine Nesultate gcwesen
sein? „Ich deuke nur zu meiner eigcnen Belchrung. Befriedigen mich meine Ge-
dankeu am Ende: so zerreiße ich das Papier. Befriedigen sie mich uicht: so
lasse ich es drucken" (Über eine zeitige Aufgabe).
Lessings Konfimüm ist das Denkeu, nicht das Denkeu als Selbstzweck — er
ist kein systcmatifcher Philosoph —, sondern das Denkeu im Verhältnis zur
Existenz, das Denken als Kunst, als Bewcgung und Wagnis, als Sinn des
Lebcns und Erlebens, sein Ziel die llmwandlung des Denkens. Dic Sinne
bieten ihm kcinen Stost, keinc Erfüllung: sein Ohr ist unmusikalifch, seiu Auge
unsichtig für den Wert der Formen und Farbcn.
„Ein andcres ist der Altertumskrämer, cin andcres der Altertumskundige. Icner
denkt nur kaum mit seincn Augen, dieser sieht auch mit seinen Gedanken. Ehe
jener noch sagt, so war das! weiß dieser fchon, ob es so sein könue." Er hat
keinen Sinn für das Wescu der Natur, er sagt von sich selbst, daß cr uie
geträumt habe. Alle Kräfte in ihm drängen, fchießcn in die Helle dcs Be-
wußtscins, seines klärcndcn, herrlichcn Verstandes. Mojcs Mendelssohn be-
richket, daß man sich in ciner llnterrcdung mit ihm allezcit fcharfsiuiüger vor-
gekommeu sci als man wirklich gewesen, und noch der heutige Leser wird diese
Wirkung spüren. Es gibt wenige Schriftsteller, die fchon nach dem ersten
Februarheft 192g (XXXXII, 5)
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Gotthold Ephraim Lesjlng
(Zu seinem 200. GeburLskage)
Von Hans Rupe
„Oen wahren Weg einschlagen ist ost bloßes Glüch nm
ben rechken Weg beküinmert zu sein gibt allein Veröienst."
'S gilr in diesen Zeilen nichl, Lessing als Bundesgenossen anzurufeu odcr
^ als, jetzl ungefährlichen, Gegner heraus;ufordern, wie die Literalurhistoriker
ältereu und neuercn Schlages zu Lun pflegen. Wer wie er, als Llnzeitgemäßer
geboreu, nicht sowohl gegen Einzelne als gegen seine Zeit im Kampfe gestandeu
hat, spottet uoch des Maßstabes und Nachruhms unserer Zeit, in der er viel-
leichk auch als Llnzeikgemäßer leben, kämpfen und siegreich unterliegeu würde.
Llnzeitgemäß? War nicht gerade er der ersüllende, wolkenzertcilende Genius
sciner Zeit, ihr Vater und Zuchtmcister, der ruhmgekrönte Dichtcr nnd Kriti-
ker der Aufklärung, der Bahnbrecher unserer Literatur? Llnd dennoch unzeik-
gemäß! Denn sein Geist forderte eine Glcichung, die weder e r der Zeit, noch
die Zeit ihm zu löscn vermochte. Goethe rührt an das Problem, wenn cr zu
Eckcrmann bemerkt, daß Lessing sich am liebsten in der Negion der Widersprüche
und Zweifcl aufhalte; er selbst dagegcn habe sich nie auf Widcrsprüche einge-
lasseu: „Dic Zweifel habe ich in mcinem Jnnern auszugleichen gcsucht, und
nur die gefundenen Nesultake habe ich ausgesprochen." In der Tat könnte man
den lehten Satz umdrehen: dcr rcife Lessing habe seinc Zwcifel geäußert und
seine Resultatc für sich behalten. — Oder sollten es keine Nesultate gcwesen
sein? „Ich deuke nur zu meiner eigcnen Belchrung. Befriedigen mich meine Ge-
dankeu am Ende: so zerreiße ich das Papier. Befriedigen sie mich uicht: so
lasse ich es drucken" (Über eine zeitige Aufgabe).
Lessings Konfimüm ist das Denkeu, nicht das Denkeu als Selbstzweck — er
ist kein systcmatifcher Philosoph —, sondern das Denkeu im Verhältnis zur
Existenz, das Denken als Kunst, als Bewcgung und Wagnis, als Sinn des
Lebcns und Erlebens, sein Ziel die llmwandlung des Denkens. Dic Sinne
bieten ihm kcinen Stost, keinc Erfüllung: sein Ohr ist unmusikalifch, seiu Auge
unsichtig für den Wert der Formen und Farbcn.
„Ein andcres ist der Altertumskrämer, cin andcres der Altertumskundige. Icner
denkt nur kaum mit seincn Augen, dieser sieht auch mit seinen Gedanken. Ehe
jener noch sagt, so war das! weiß dieser fchon, ob es so sein könue." Er hat
keinen Sinn für das Wescu der Natur, er sagt von sich selbst, daß cr uie
geträumt habe. Alle Kräfte in ihm drängen, fchießcn in die Helle dcs Be-
wußtscins, seines klärcndcn, herrlichcn Verstandes. Mojcs Mendelssohn be-
richket, daß man sich in ciner llnterrcdung mit ihm allezcit fcharfsiuiüger vor-
gekommeu sci als man wirklich gewesen, und noch der heutige Leser wird diese
Wirkung spüren. Es gibt wenige Schriftsteller, die fchon nach dem ersten
Februarheft 192g (XXXXII, 5)
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