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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 6 (Märzheft 1929)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0494

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,'n dem er steht, die Dögel, die Jnsekten,
die auf ihm toohnen, alleS bis zum
klemsten, roaS hemmend oder fördernd
sein Wachötum auömacht? Jst der Baum
da zu Ende, wo slch seiue Silhouette
gegen den Himmel abzeichnet, oder ist
nicht vielmehr gerade das der Baum,
was zwischen den Blättern und Luft,
Lichk und Regen, zwifchen den Wurzeln
und der Erde vor sich geht, diese vibrie-
rende Oberfläche, die den Baum nlcht
gegen die Welt begrenzt, sondern zu
,'hr öffnet? Davon sagt das definierte
Wort „Baum" nichts, und auch alle
di'e besonderen Bäumenamen, die die
Gattungen der Bäume unterfcheiden, ge-
nugen ni'cht, um diese Beziehungen aus-
zuschöpfen. Es genügt auch noch nicht,
wenn wir diese Dingbezeichnungen wei-
ter differenzieren durch Attribute,
di'e die Größe, die Farben und For-
men, die tausend Oualitäten unserer
Sinne unterscheiden. Erst wenn wir die
Verben auch noch zu Hilfe nehmen,
wenn wir nicht mehr glauben, die vor
uns liegende Welt sei eine Welt iso-
lierter Dinge, sondern wenn wir sie mit
Sätzen umschreiben, die das Leiden und
Wi'rken der Dinge und damit die Bezie-
hungen zur Umwelt ausdrücken; erst
wenn wir auch die Berben noch dazu
nehmen und die Adverbien und alle die
syntaktischen Mittel der Sprache, wenn
wir auch noch über den Satz hinaus-
gehen zum Zusammenhang der Sätze,

zur Abhandlung, zum Buch, und wenn
wir die Bücher des Naturforschers, des
Gärtners, des Dolkswirtes, des Dichters
zusammennehmen — erst dann kommen
wir der Struktur der Wirklichkeit näher.
Es ist kein Zufall, daß die Sprache auü
Dlng-, Eigenfchafts-, Tätigkeits-, Um-
stands- und vielen andern Wörtern be-
steht.

Die Sprache ist nicht die Summe von
Wörtern, die im Wörterbuch verzeichnet
sind. Der Wortvorrat ist nur ein ab-
straktes Schema von Erfahrungen und
Erinnerungen, ein Niederfchlag von Ge-
dachtem; Sprache aber ist Sprechen,
und Sprechen ist Denken. Wenn wi'r
vom Wort auf di'e Sache schließen, wcnn
wi'r die Wortgrenzen auf die Welt über-
tragen, i'st es ein falscher Gebrauch der
Sprache. Nur wenn wir in Sätzen
sprechen, werden die Dinge nicht gcgen-
einander isoliert, nicht aus ihrem Zu-
sammenhang herausgenommen, sondern
gerade in bezug auf ihre Umgebung be-
schrieben. Es ist dann nicht das Herz,
das Wesen der Dinge, auf das der Blick
gerichtet ist, sondern die Peripherie, die
Berührung zwischen dem Ei'nzelding und
der Welt. Wir haben dann das Ding
nicht im Wort, sondern eS bleibt pro-
blematisch; wir stehen außerhalb, vor
dem Uncrforschten und Unerforschlichcri.
Das Wort verliert seinen magischeu
Eigennamencharakter.

Hermann Herrigel

Zu unseren BLldern und N'oLen

^vu den Bildbeilagen dieses Heftes ge-
^)hört diesmal ein größerer Aufsatz über
Martin Lauterburg aus der Fe-
der von Professor Josef Popp im Haupt-
teil (Seite -foi u. ff.).

*

<7)sugust Halm, der Komponist und
^Musikschriftsteller, ist einer tückischen
Blinddarmentzündung erlegen. Knapp an
der Wende des sechzigsten Jahres hat er
fvrtgemußt, viel zu ftüh für ihn wie
für uus, und vor allem zu früh für die
Kunst, der dieses arbeitsreiche Leben ge-
widmet war. Die wenigen Aufsätze, die
er dem „Kunstwart" geliefert hat, geben
von seinem Werk nur einen schwachen
Begriff, aber den Mann selber läßt jede
Zeile erkennen. Die Tiefe seiner Frage-

stellungen, die spekulative Kühnheit sei-
ner Konstruktionen, der kompromißlose
Ernst seines Denkens und Schließens,
die eigentümliche Höhe und Würde seines
Tons leben in allem, was er gefchrie-
ben hat. Unter hundert anonymen Ab-
handlungen ließe sich auf den ersten
Blick feststellen, welche von Halm sind.
Jn der (leider eingegangenen) Stuttgar-
ter „Neuen Musikzeitung" (4g. Jg.,
H. 12) hat August Halm über sich selbst
geschrieben, über seine Kompositionen und
Bücher. „Ganz im allgemeinen gesagt,
war öas Haupksächliche, was mich an-
trieb, die Einsicht, daß es sich bei den
echten Gesetzen der musikalifchen Form
um eine Art Biologie der Musik han-
delt, und daß von dieser Wissenschaft
eigentlich nichts als einzelne Ansätze Vvr-

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