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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1929)
DOI Artikel:
Nötzel, Karl: Tolstoi-Ausgaben und Bücher über Tolstoi
DOI Artikel:
Gürster, Eugen: Die Lage des Welt-Films am Jahresende 1928
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0399

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Zur Einführung in die Gesarnlerscheinung Tolftoi empfehlen wir aus der fchon
unllbersehbaren Fülle der deutfchen Tolftoi-Literatur (die freilich noch immer beträcht-
lich hinter der deutfchen Doftojewski-Literatur zurückfteht) vor allem die vortreffliche
Schrift von Philipp Witkop „Leo Tolftoi" (A. Ziemsen Verlag, Wittenberg).
Auf dem hierfür sehr kleinen Raum von kaum 2Z0 Druckseiten wird unter kluger
Einfchaltung von Originaltexten ein zusammenfassendes Bild des Dichters, Men-
fchen und Propheten gegeben, wobei namentlich erfterer feine Würdigung erfährt
— freilich der Verführer Tolftoi etwas zu kurz kommt. Die lebendige, farbenreiche
und durchweg spannende Schilderung vermittelt wohl volle Gefühlsanknüpfung an
die Persönlichkeit Tolftoiö. Eine vertiefte Einführung gibt dann Luther in
semer ganz vortrefflichen Auswahl: Leo Tolftoi, „Ein Leben in Selbftbekennt-
nissen", Tagebuchblätter und Briefe (BibliographifcheS Jnftitut, Leipzig). Die
Dokumenke, gewissenhafk und klug aus der bereits vorliegenden flberfülle ge-
wählt, sind chronologifch geordnet und nach LebenSabfchnitten geteilt, wobei
jedem Teile eine das Wesentliche erfchöpfende und auf der Höhe der gegenwärtigen
Forfchung ftehende Einführung vorausgeht. Daß die Anmerkungen und Erläute-
rungen zuverlässig sind, verfteht sich bei einem Arthur Luther (der Slawift und Ger-
manift in einem ift und mehr als sein halbes Leben mitten im russifchen Literaturge-
triebe ftehend in Rußland zubrachte) ganz von selber. Diese warm zu empfehlende
Einführung erspart langwieriges Quellenftudium, ift im wesentlichen erfchöpfend,
wirkt unmittelbar überzeugend und eigentlich trotz der vielfachen Tragik deö Jnhalts
merkwürdig erfreulich — wohl wegen der männlichen Folgerichtigkeit dieser Lebens-
führung. Jch selber habe in eincr kleinen Schrift („Tolftoi und W i r", Mu-
sarion-Verlag, München) versucht, die Einheik der Erfcheinung Tolftois darzulegen,
während ich in der gleichfalls kurzen, unlängft, gelegentlich des Iubiläums, erfchiene-
nen Textauswahl (Leo Tolftoi, Aufruf zur Bruderfchaft, eine Botfchaft aus seinem
Gesamtwerk, Hans Harder Derlag, Wernigerode am Harz) den ganz gegenftim-
mungsfreien Tolftoi zu Worte kommen ließ, der gar kein Berführer mehr ift, nur
noch das zweifellos Guke will — und auch alle heimliche Angft um das Schicksal des
m'cht mehr von ihm gegängelten, nur noch Gott und sich selber überlassenen Men-
fchen von sich geworfen hat.

Die Lage des Welt-Films am Jahresende 1928

Von Eugen Gürfter

I.

dem Maße, in dem sich Europa der Massenhaftigkeit, dcm Gesetz der höheren
^.)Zahl und damit einer Art von seelifcher Demokratie ergab, nahm auch die Wert-
fchätzung des SchauspielerS, wie des Mimifchcn überhaupt, zu. Der Schauspieler,
der heute durch dieses und morgen durch jenes Lebensfchicksal hindurcheilt, wird znm
Gesellfchaftsideal einer Menfchheit, die durch ihren Berufsbetrieb vom eigcntlichen
Leben immer mehr abgezogen wird und sich nunmehr in dem Mimen cinen ver-
klärten Ersatz für das Unausgelebte ihres eigenen Daseins heranzieht. Der Schau-
spieler und sein Publikum bedingen sich in solchem Sinne wechselseitig: auch der
Mime, der laut Schiller nur an die Gegenwart denken darf, erlaubt sich nicht, an
den Nöten und Wünfchen seiner Zcit vorbei zu spielen. Eine Gesellfchaft, die nach
amerikanifchem Dorbild keine geiftige Spitze hat und die keine anderen Baugesetze
als das Auf und Ab deS Wirtfchaftskampfeö kennt, verehrt als den Künftler ihrer
Zeit niemanden lieber und aufrichtiger als den bedeutendcn Schauspieler, — am
liebften noch da, wo ihn kein Dichter in den Exzessen seiner Lcidenfchaft einengk.
Jn eine solche Lage hinein trifft gewiß nicht zufällig der Film, der in wem'gen

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