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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 2 (Novemberheft 1928)
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Berrsche, Alexander: Ein Gespräch zum Schubert-Gedenktag
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Thiel, Rudolf: Wege und Ziele moderner Biographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0111

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genden verbinden konnte? Diese Frage, lieber Freund, sehk den Formalislen
in Verlegenheik. Und doch liegk der Fall ganz klar und einfach. Man muß
nur mik offenem Herzen auf die Töne hören. Dieses erfte Thema hat eine un-
geheurc seelifche Reichweite. Es wirkt noch fort, auch wenn cs längft ver-
klungen ift; es legt sich düfter über die nachfolgende liebliche Kantilene der
Oboen und Klarinetten, und wir fühlen seine Fernwirkung fchon an dem erften
akzentuierten Nonenakkord, der im achten Takt der Holzbläsermelodie einseht.
Versuchen Sie einmal, den Zauberspruch dicses Einleitungsthemas auszu-
lassen: der ganze erfte Teil würde zu etwas anderem; er hätte seinen Hinter-
grund verloren; wir würden die verfchleierte Wehmut seines Melos nicht mehr
fühlen, seine Lragifchen Akzente nicht mehr verftehen; wir hören sie erft richtig,
wenn uns der Nachtwandlerblick des Eingangsthemas geftreift hat. Begreifen
Sie, was ich meine?"

„So gut, daß ich mich faft ärgere, nichk selbft darauf gekommen zu sein. Man
möchte beinahe sagen, daß es auch in der großen Form Zusammenhänge
gibt, die sich ebensowenig formaliftifch erläukern lassen wie die Tatsache, daß
gerade diese oder jene drei oder vier Töne ein unbefchreiblich fchöncs Motiv
ausmachen, und daß dessen ganzer Zauber zerftörk wäre, wenn wir nur cinen
einzigen Ton ändern würden. Jm Grunde möchte man sogar diese Schubertfche
Form für den höheren, genialeren Typus halten. Sie kennen ja das Work
Nuehfches, Beethoven sei der Musiker, der einem Spielmann zuhöre, aber
Schubert sei selber ein Spielmann. llnd dabei käme ich wieder auf meinen
alten Kinderglauben zurück, in Mozart und Schuberk die höchftcn, unbe-
greiflichften Wunder zu verehren. Warum ift alles Bemühen um die Analy-
sierung eines Schubertfchen Liedes mit einem komifchen Beigefchmack be-
haftet? Weil gerade da der Gegensah zwifchen dem unerklärlichen Myfterium
des Einfalls und dem, was sich noch befchreiben läßk, auch dem Naivften
deutlich wird. Strophenform, Charakterisierung, Harmonik, Modulationsgang
und dergleichen zu erläukern, ift billig. Aber mehr kann man eben nicht."
„Bravo, wissen Sie was? Schreiben Sie doch meinen Artikel. Mir grauts
davor."

„Fch danke beftens, ich hab selbft erft eincn gefchriebcn, und Sie wollen
ihn nicht einmal lesen. Lösfeln Sie Jhrc Suppe nur selber aus. Übrigens
haben Sie Ihren Artikel fchon fertig. Sie brauchen ihn nur noch nieder-
zufchreiben. Teilen Sie Ihren Lesern ruhig unser Gespräch mit."
„Ausgezeichnet! Man wird mich vielleicht damit hinauswerfen, aber ich mache es
doch. Und ich mache es gleich. Proft, trinken wir aus. Schuberk soll leben!"
Die Gläser klangen hell zusammen. „Ein herrlicher Tropfen," sagte der
Musiker, „und übrigens fchmeckt er gar nichk nach dem Kork."

Wege und Ziele moderner Biographie

Von Nudolf Thiel

er Stolz unserer Literatur ift die Psychologie. Es erfcheint nicht un-

'^-^'zeiLgemäß, nachdem es der Ehrgeiz jedes Biographen geworden ift, den
Genius psychologifch zu verftehen, nunmehr auch zur Psychologie der Bio-
graphen fortzufchreiten.

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