psychologische und psychoanalytische ZudringlichkeiLen, das, lieber Freund,
sind Genieslreiche, die man nur erfühlen kann, und gewiß etwas anderes als
ein bloßes Nncheinander."
„FeHL fangen Sie an, zu schwärmen und ziemlich lange Sätze zu bilden.
Sagcn Sie mir lieber, warum Sie das Organische bei SchuberL nichk so
handgreiflich erklären können wie bei Haydn oder BeeLhoven."
„Gern. Was bei Haydn und Beekhoven vorgehL, läßk sich, wenigfkens äußer-
lich, noch erfassen. Die energische BewußLheiL des Baues, die ÄerarbeiLung
des ThemaLischen, die deukliche Verklammerung aller Teile, das Greifen
jedes Zahnes in die Zähnung, welche GelegenheiLen bieken sie dem Zeichenftab
des TheoreLikers! Wo man umschreibend und andeutend von EnLwicklung,
Dialekkik, KonflikLen sprechen kann, haL man äußere Merkmale eines ord-
nenden, planmäßig disponierenden Geiftes gefunden. Nun wäre es aber sehr
unkünstlerifch gedachk, die lebendige GegenwarL eines organifchen Prinzips dann
zu leugnen, wenn sie nichk formal erwiesen, sondern nur inkuikiv begrisfen wer-
den kann. Es wäre, wenn Sie mir einen ferner liegenden Bergleich zuguke
halLen wollcn, genau so flach, wie wenn man die innere Logik und den Wahr-
heiksgehalL eincs Buches nach der Zahl seiner lückenlos durchgeführken Syllogis-
mcn beurkeilen wollLe. Die Liefften Bücher würden dabci am fchlechkeften fahren.
Gerade bei SchuberL werden die feinften Zusammenhänge nichL durch analysier-
bare ,SyllogismerL der Faktur hergeftellL, sondern durch innere Beziehungen,
die jenseiks des Formalen ftehen, sagen wir kurz: durch den reinen Einfall, der
uns alle miL unserem ganzen sogenannken Kunftverftand mattsetzk. Nnr ta-
ftend, oder wenn Sie wollen: fchwärmend können wir über diese Dinge reden.
Lasscn Sie sich an einem Beispiel zeigen, was ich meine, einem Beispiel, das
jeder kennL: an dem Anfang der ,unvollendeten^ Symphonie in h-moll. Sie
crinnern sich des dunklen Themas der Celli und Bässe, das an der Spihe des
erften SaHes fteht. Sie wissen auch, daß dieses Thema im ganzen ersten Teil
des Sahes nicht mehr vorkommt; erft in der Durchführung LauchL es wieder
auf und spricht sein lehtes gewichtiges WorL in der Coda. Warum ftehL es
dann eigentlich an der Spitze des ersten Teils? könnte man fragen. Darauf
kann der AnalyLiker antworten: sehr einfach, aus einem rcin kompositionellen
Grund. Schuberk wollte nicht in die Durchführung mit einem neuen Thema
hereinplatzen, er hatte das Bedürfnis, das Auftauchen des Gegenspielers vor-
zubereiten; deshalb hat er ihn glcich zu Anfang präsentierL. Man denkL sich:
aha, der Burfche wird fchon noch einmal kommen, warten wirs ab. So kann
der AnalyLiker sprechen, und er hat von seinem formalistifchen Standpunkt
aus nicht einmal unrecht, d. h. wenn man die Prämissen seiner Betrachknngs-
weise gelten läßL. Aber er siehk zu wenig. Das MoLiv der kompositionellen
Symmetrie läßt immer noch die Frage offen, was dieses erste Thema mit dem
erften Teil zu tun habe. Hat Schubert sozusagen nnr einen Wechsel ausge-
stellt, den er in der Durchführung und Coda einlösen wird? Und muß man sich
damiL abfinden, daß Lrohdem oder gerade deshalb zwifchen diesem Anfangs-
thema und dem, was unmiLLelbar nachfolgL, eine Lücke klafft? Oder ist gar der
Gedanke erträglich, SchubcrL habe sozusagen hinterher und in rationalistifcher
Art einen kompositionellen Fehler äußerlich gukzumachen versucht, indcm er
etwas als Motto an die Spihe stellke, was er nichk organifch mi'L dem Fol-
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sind Genieslreiche, die man nur erfühlen kann, und gewiß etwas anderes als
ein bloßes Nncheinander."
„FeHL fangen Sie an, zu schwärmen und ziemlich lange Sätze zu bilden.
Sagcn Sie mir lieber, warum Sie das Organische bei SchuberL nichk so
handgreiflich erklären können wie bei Haydn oder BeeLhoven."
„Gern. Was bei Haydn und Beekhoven vorgehL, läßk sich, wenigfkens äußer-
lich, noch erfassen. Die energische BewußLheiL des Baues, die ÄerarbeiLung
des ThemaLischen, die deukliche Verklammerung aller Teile, das Greifen
jedes Zahnes in die Zähnung, welche GelegenheiLen bieken sie dem Zeichenftab
des TheoreLikers! Wo man umschreibend und andeutend von EnLwicklung,
Dialekkik, KonflikLen sprechen kann, haL man äußere Merkmale eines ord-
nenden, planmäßig disponierenden Geiftes gefunden. Nun wäre es aber sehr
unkünstlerifch gedachk, die lebendige GegenwarL eines organifchen Prinzips dann
zu leugnen, wenn sie nichk formal erwiesen, sondern nur inkuikiv begrisfen wer-
den kann. Es wäre, wenn Sie mir einen ferner liegenden Bergleich zuguke
halLen wollcn, genau so flach, wie wenn man die innere Logik und den Wahr-
heiksgehalL eincs Buches nach der Zahl seiner lückenlos durchgeführken Syllogis-
mcn beurkeilen wollLe. Die Liefften Bücher würden dabci am fchlechkeften fahren.
Gerade bei SchuberL werden die feinften Zusammenhänge nichL durch analysier-
bare ,SyllogismerL der Faktur hergeftellL, sondern durch innere Beziehungen,
die jenseiks des Formalen ftehen, sagen wir kurz: durch den reinen Einfall, der
uns alle miL unserem ganzen sogenannken Kunftverftand mattsetzk. Nnr ta-
ftend, oder wenn Sie wollen: fchwärmend können wir über diese Dinge reden.
Lasscn Sie sich an einem Beispiel zeigen, was ich meine, einem Beispiel, das
jeder kennL: an dem Anfang der ,unvollendeten^ Symphonie in h-moll. Sie
crinnern sich des dunklen Themas der Celli und Bässe, das an der Spihe des
erften SaHes fteht. Sie wissen auch, daß dieses Thema im ganzen ersten Teil
des Sahes nicht mehr vorkommt; erft in der Durchführung LauchL es wieder
auf und spricht sein lehtes gewichtiges WorL in der Coda. Warum ftehL es
dann eigentlich an der Spitze des ersten Teils? könnte man fragen. Darauf
kann der AnalyLiker antworten: sehr einfach, aus einem rcin kompositionellen
Grund. Schuberk wollte nicht in die Durchführung mit einem neuen Thema
hereinplatzen, er hatte das Bedürfnis, das Auftauchen des Gegenspielers vor-
zubereiten; deshalb hat er ihn glcich zu Anfang präsentierL. Man denkL sich:
aha, der Burfche wird fchon noch einmal kommen, warten wirs ab. So kann
der AnalyLiker sprechen, und er hat von seinem formalistifchen Standpunkt
aus nicht einmal unrecht, d. h. wenn man die Prämissen seiner Betrachknngs-
weise gelten läßL. Aber er siehk zu wenig. Das MoLiv der kompositionellen
Symmetrie läßt immer noch die Frage offen, was dieses erste Thema mit dem
erften Teil zu tun habe. Hat Schubert sozusagen nnr einen Wechsel ausge-
stellt, den er in der Durchführung und Coda einlösen wird? Und muß man sich
damiL abfinden, daß Lrohdem oder gerade deshalb zwifchen diesem Anfangs-
thema und dem, was unmiLLelbar nachfolgL, eine Lücke klafft? Oder ist gar der
Gedanke erträglich, SchubcrL habe sozusagen hinterher und in rationalistifcher
Art einen kompositionellen Fehler äußerlich gukzumachen versucht, indcm er
etwas als Motto an die Spihe stellke, was er nichk organifch mi'L dem Fol-
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