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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 4 (Januarheft 1929)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0332

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ir bringen ein paar interessante
Beispiele der Knnsi van Goghs,
die über dessen Persönllchkeit und Schaf-
fen welteren Auffchluß geben nnd dar-
über hinauS zn grundsätzlicher Betrach-
tung anderer Art anregen: eS lft daS
bedeutsame Kapltel der künftlerifchen
Originalität. Der Jndividualismus, der
auch unsere Zeit noch beherrfcht, hat in
Wissenfchaft, Literatur und Kunft den
Begriff des Plagiats, des geiftigen Dieb-
ftahls, in den Vordergrund gerückt. Man
ift heute hiefür besonders empfindlich und
erachtet seine Gegebenheit als sehr fträf-
lich. Jn der Wissenfchaft spielt das Pla-
giat aber eine andere Rolle als in der
Knnft, weil es hier weniger auf das
Was als das Wie ankommt. Der gleiche
Jnhalt sagt noch nichts über den gleichen
Knnftwert, weder über seinen geiftigen
noch formalen Gehalt. Aber auch in der
Wissenfchaft wird nicht selten zu fchnell
und fcharf vom Plagiat gesprochen, wäh-
rend es sich oft nur um die Gleichzeitig-
keit eines GedankenS handelt: „Die
Wahrheit ift in aller Welt" (Goethe).
Und in einer Welt, die so viele Wege der
gegenseitigen Berührung nnd des Aus-
taufches hat wie die unsrige, ift es we-
öer verwunderlich noch selten, daß
Jdeen gleichzeitig anftauchen oder Tat-
sachen verwandte Wirkungen auslösen;
in der Technik ift das selbft gegenüber
bedeutenden Entdeckungen nnd Erfindun-
gen, z. B. bei der Bildtelegraphie, wieder-
holt der Fall gewesen. Jedenfallö aber ift
die bewußte Aneignung oder Ausnützung
fremder Gedanken und Gedankenformu-
lierungen zum mindeftcn eine Unanftän-
digkeit, die jedoch durch gefchickte Retou-
chen oder nebensächliche Anderungen mo-
ralifch und gerichtlich oft ungemein
fchwer feftftellbar wird.

WaS die Kunft betrifft, so ift man je-
denfalls in der früheren Zeit hierin we-
niger engherzig und anspruchsvoll gewe-
sen als in der Gegenwart. Man hat
ganz naiv voneinander übernommen, was
einen interessierte, und niemand ift es
offenbar eingefallen, daß dergleichen un-
zulässig ift — weil die geiftige Konkur-
renz nicht den gegenwärtigen Charak-
ter trug; andererseits hat man richtig
empfunden, daß es gerade >n dcr Kunft

auf ganz anderes ankommt: die künst-
lerifche Leiftung befteht weniger in der
Erfmdung vder im Gebrauch eines be-
ftimmten Stoffeö alö in dessen anfchau-
ungömäßig befter Verwirklichung. Sv
war es in Griechenland selbftverftänd-
lich, daß das fruchtbare Motiv des nack-
ten ftehenden Mannes Gemeingut ift.
Der Ehrgeiz war nur darauf gerichtet,
was die vorausgegangenen oder gleich-
zeitigen Meifter hierin gelciftet, durch
neue Behandlung zu fteigern — wodurch
Künftler und Kunft zu endgültiger Höhe
geführt wurden.

Ein Sonderfall ift die Umgeftaltung
eines Kunftwerkeö im Sinne der Para-
phrase oder freien Abwandlung, ift auch
die Kopie aus persönlichem Jnteresse,
wie z. B. Rubens Geftalten aus Michel-
angelos Sixtinlfcher Decke gezeichnet, wie
er Tizian kopiert hat, wie auch in unse-
rer Zeit Liebermann oder Uhde Hals
kopierten. Derartige Arbeiten sind so-
gar mehr oder weniger neue Schöpfun-
gen, weil sich in ihnen eine bedeutende
Persönlichkeit und deren Auffassung des
jeweiligen Werkes widerspiegelt. Und
solche Leiftungen gehören deshalb zu un-
serem Bild des betresfenden Meifters.
Etwas ähnliches liegt bei van Gvgh
vor. Er hat Werke von Rembrandt,
Delacroix, Daumier, mit besonderer Vor-
liebe von Millet, zur Unterlage eigener
Bilder benützt — eigener Bilder!
Wir können daö überzerigend und anre-
gend in drei Fällen aufzeigen, die uns
eine van Gogh-Auöftellung iin Münchener
„Graphischen K a b i n e t t" (Lei-
tung Franke) bietet: es handelt sich um
die Benützung von Holzfchnitten, nach
Bildern Millets, die uns Herr Franke
in gewohnter Bereitfchaft zur Verfü-
gung geftellt. Jn diesen Holzfchnitten ift
fchon eine Übersetzung vollzogen; denn.eö
sind Nachbildungen von Zeichmmgen
Millets. Millet (i3i/j—75) war gerade
auf diesem Gebiete ein Meifter. Jm
allgemeinen is! seine Farbe fchwer, seine
Malerei dick und wollig, sind seine Tönc
tiefdunkel und fchmutzig; seiner Pinsel-
führung fehlt die Leichtigkeit und Zart-
heit. Seine Atmosphäre ift zu solid, das
Gewand zu massig, der Gesamteindruck
oft gezwungen. Vicl erfreulicher isi er

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