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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 2 (Novemberheft 1928)
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Bach, Rudolf: Eine Deutsche Schauspielerin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0126

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körperlichem Graucn des Vorgangs ein Äußersies, und das Seelenhafke sticg
aus wie nie. Dahin waren Schmerz und Trostlosigkeit, dahin auch die Sünde
der Empörung, — die Last des Lebens lud sich zuleht, als das Mädchen
erschöpft, ohnmächtig hinschlug, auf eine andre, noch unsichkbare Instanz,
und aus der Finsternis wchte von irgendwoher hinker aller surchtbaren Schuld
und Verstrickung ein Hauch von Freiheit.

Hier gab es sreilich nichts als den einmütigsten Beisall. 2lber die Dorsch ist
nicht weniger groß auch in den Schichten, die nicht so nahe der Grenze
wohncn, in denen das Leben stiller sich abspielt, und dies wird noch manch-
mal mißkannt. Es eignet ihr da eine wunderbare, wissende Bescheidenheit, dic ihr
ein traumhast sicheres Gesühl dasür leiht, welcher Stärkegrad einer Szene zu-
kommt, uud Sie werden nicht finden, daß sie die Linie einmal verfehlk. Dies ist et-
was, das dcn Nuhm und einen hohen Wert der Bühne Ihrer Mation aus-
macht, aber hier, bci dieser deukschen Schauspielerin hak es nicht dcn leiscsten
Schcin von Tradition, Technik und bewußt ersülltem GeseH, sondern ist
reine I^atur, wie das andere alles. Die Dorsch steht in SchniHlers „Lie-
belei" den ganzen crsten Akt durchaus im Hinkergrund, weil das der Nolle
cutspricht, und es geschieht wohl dabei, daß oberflächlich und dumpf fühlende
Zuschauer enttäuscht sragen: „Und das soll die Dorsch sein?" Für die
aber, die guten Willens und nnr ein wenig einsichtig sind, liegt in solcher
Zurückhaltung ein nicht weniger deutliches Zeichen von Größe. Wie eine
Landschast ruht dieses kaum sprechende Mädchen hinter der Gruppe der
harmlos Schwätzenden, unsichtbar in ihrem Schicksal besangen, wie cin
Duell, oder ein Hügel, oder ein Baum, und wenn sie dann einmal cinen
kurzen gleichgültigen Satz sagt, schwcbt ein unvergeßlicher Klang durch das
Zimmer. Das seHL sich noch weit in den zweiten Akt hinein fort und ist
auch sonst über lange Strecken hin zu verfolgen. Aber dann plöHlich wieder
der dritte! Wie da nach ein paar SäHen flakternder 2lngst, vor denen wir
gebannt siHeu müsscn, obwohl sast nicht fähig, sie zu ertragcn, — wie da in
der Eutdeckung ein Schrei ausbricht, kierhast, rasend, sremd und doch die
Dual eines zartesten Herzens enthaltend, ein Schrei und dann noch einmal
ciner, schon eingedunkelt von der Nähe des hergerissenen Todes, da sind wir
mit einmal aus dcr unverbindlichen Sphäre eines Wiener Stücks ties im
Antiken, dort, wo den einsam starrenden Menschen der reine BliH des Ge-
schickcs crschlägt. Solch ciu Wechsel, solche rasche ungehcure Berändcrung
geschieht bei der Dorsch mit der vollen Gewalk der Überraschung, in der un-
bcrechenbaren Herrlichkeit des Elementarcn, das ganze Akte als Opser ver-
langt, die willig gebracht wcrden, um des einzigen höchsten Augenblicks willen.
Die Dorsch jagk den großen Inspirationen nichk nach, legt sie nichk fest,
baut auch nichk kunstvoll eine der andern an, mik dramakurgisch klugen
Räumen scheinbarer Entspannung dazwischen, sondern sie spielt nur und
wartek, den ungebrochenen Meistern der alken Musik ähnlich, die, sicher der
in ihnen hauscnden Fülle und des eingeborenen, unverlierbaren Nkveaus, gut
musiziercu, bis daun der Einfall kommt, der sie über sich selber enipor- und
um sie die Höhen und Tiesen aufreißt. Deshalb ist die Dorsch am erregend-
sten vielleicht dort, wo ihr in eine stille Partie, die in entzückender Ehrlichkeit
offen zukage liegk, ein inneres Geschehen einbrichk. Wenn ihr ein Glück an

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