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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 2 (Novemberheft 1928)
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Petzet, Wolfgang: Der Stand des Weltfilms: zu den Filmfestwochen in München
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0158

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Zum zweiten bewirkt die Gesinnung etwaS, daS die Kunst der Darstellung betrisst:
das star-lose Ensemble-Spiel. Wiederum begibt sich das Eigentümliche: je mehr der
Einzelne in die Masse zurücktritt, desto charakteristischer wird er zugleich; so wie in
den Plastiken des späten Mittelalters und heute noch aus dem Lande die „Charak-
terköpfe" zu sinden sind. Da kein Star herausgestellt zu werden braucht und stän-
dige Berücksichtigung ersordert, ist jener Wechsel von Gesamtausnahme, Nahaus-
nahme einer Gruppe und Einzelgroßaufnahme möglich, der eine Variation und
gesteigerte Fortsührung deS angeschlagenen Themas in einem bedeutet.

Durch einen Umsturz, der bis aus den Grund der Seelen segte, entstand serner eine
wirklich neue Anschauung der alltäglichen und alltäglichsten Realität; es ist den
Russen möglich, durch eine Photographie des DreckeS, der unter dem Tisch ciner
Arbeiterwohnung liegt, im Augenblick ein Milieu aus die Leinwand zu wersen, wie
es leibhaster nicht gegeben werden kann. Die gestürzten Denkmäler, die mit Pro-
letariern bevölkerten Marmorfassaden gewährten unerwartete Schaustellungen eines
wulstigen Bombastes; seitdem stellt sich auch die russische Kamera gerade anders ein,
als es bislang üblich war -— und enthüllt. Daß die Russen in ihren besten Filmen
die Billigkeiten der Karikatur vermeiden, bei zaristischen Denkmälern und bürger-
lichen Physiognomien auf jede Zutat verzichten, die Dinge lediglich unter einem ver-
änderten Gesichtswinkel geben, der ihnen ihr subjektiveö Recht beläßt, ist ihre rühm-
lichste Leistung.

Das alles aber sind einzelne Momente; die mitreißende Wirkung bedingt jene selbst-
gewisse, an keinerlei Einzelheiten sich verlierende Kraft, die das Ganze zum Ziele
trägt. Auf der Suche nach dem stärksten Ausdruck wurde die Kunst entwickelt,
Spannungen nicht aus einem übersteigerten Tempo, sondern aus einer gewitter-
geladenen Ruhe zu holen: vor dem Höhepunkt im „Potemkin" — es handelt sich
darum: werden die Matrosen auf ihre verurteilten, von einem Segeltuch verhüllten
Kameraden schießen? — erscheint die Großausnahme des Kommandierenden, die
Großausnahme deS Popen, wie er daS Kruzifix langsam von einer Hand in die
andere klopst, der Bug des Schisses mit dem kaiserlichen Wappen, und dann erst
der Rufer: „Kameraden, auf wen schießt ihr!" und das Sinken der Gewehre.

s

Noch ist so der Geist der einzelnen Völker in ihren Lichtspielen klar zu erkennen.
Das deutsche Gesicht ist das unausgeprägteste; „erblich belastet", ist eö dem deutschen
Filme an sich schon schwer, die eigene Art zu finden; nun wird ihre Ausformung
noch durch äußere Umstände gehemmt. Die bloße Nachahmung russischer Techniken
aber, wie sie schon vielfach zu bemerken, wird nicht vorwärtsbringen. Die Mischung
von allem und jedem bedeutet auch nicht den Weltsilmstil, von dem schon vielfach
die Rede ist. Nur ein Bund Ebenbürtiger, als miteinander Vertrauter könnte ihm
einst die Prägung geben.

Umschau

Weltangsi lind Weltbehauptung

arl Hofer ist fünszig Jahre alt ge-
. geworden. Die Mannheimer Kunst-
halle hat diesen Tag durch eine AuS-
stellung gefeiert, die, wenigstenS in Stich-
proben, das ganze Werk des MeisterS
umfaßt. Und dieses Werk wieder um-
saßt maßgebend eine große Strecke deut-
schen LebenS. Es ist die wesentliche

Leistung der Mannheimer Ausstellung,
daß sie Kärl Hoser als eine sührenöe
Persönlichkeit der deutschen Nachkriegs-
kunst erweist; als eine Persönlichkeit,
in der die wichtigsten Tendenzen dieseö
Zeitabschnitteö sich begegnen, vor allem
die gefährliche Weltentfremdung und ihr
mannhaftes Gegenspiel. Sein ganzes
Werk besteht, seit 1910, auö Drohung
und Zuversicht, und diese beiden Elc-

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