ersien nun vorliegen, zeigt sich dieselbe Krast ain Werke: das Beschwören ver-
schollener Gestalt und Zeit, das Geltenömachen verblichenen Gesetzes, vergessenen
Brauches, und damit sinö notwendig auch die Menschen — mit der höchsten Kunst
herausbeschworene Schatten. Überrascht Sie das? Jch gebe Jhnen zu, daß sie m
vielem lebendig erscheinen, ja sie leuchten und glänzen oft von Farbe, sie prangen
sörmlich von Fleisch und Blut — unö wir lassen uns gerne vollends täuschen und
bezaubern. Auch werden sich die Gesühle einer liebenden, einer schwangeren und
einer betrogenen Frau oder auch einer betrügenden Frau kaum verändern, solange
diese Welt noch besteht, und in diesem Sinne erscheint uns daS Weibliche eigentlich
cwig. Aber der Mann? Für ihn ist die Liebe ja wohl nur ein Stück dieser Welt
von vielen andern auch (wenn er einer ist), und darum ist die Welt für ihn wandel-
bar, und in dieser kann allerdingS, was heute eine Unehre ist, morgen des Landes
so der Brauch und übermorgen gar ein Ruhm sein. Das ist ein Einwand, der sich
gegen alle historischen Romane im „echten" Kostüm immer schärser meldet, und
ich wollte ihn hier nicht verschwiegen haben. Zürnen Sie mir, wenn ich die Schristen
der Undset nun zur allerbesten UnterhaltungS-Lektüre zähle, die sich überhaupt
denken läßt? Wo sie Männer und Weiber zu einander oder auch von elnander
sührt, wo Liebe unö Besessenheit das Wort haben und die Jugend und das Alter
einer Leidenschast beschrieben werden sollen, da ist sie eine echte Dichterin, aber
dic gesellige Welt, in der das geschieht, bleibt ost Komparserie im Kostüm, und so
will sich mir nicht immer ein Ganzes herstellen. Bleibt aber deö Wahren und mit
Wahrheit Erschütternden immer noch die schönste Fülle, nnd so werden Sic di«
Schristen der Undset unter Jhren Geschenken nicht vergessen.
V.
Wie ganz anöers erzählen die Russen! Nur selten begeben sie sich in verschollene
Tracht und verschollene Zeit, immer erzählen sie von Rußland, von ihrer Zeit, von
ihren nächsten Nachbarn, ihrer Stadt und ihrem Dors, mit aller Realistik, die
vor nichts Menschlichem erschrickt und nichts verschweigt, und doch ist auch der
Fremde bei ihnen sogleich zu Hause, und es erscheint ihm nichts mehr eigentlich
wunderlich oder gewissermaßen nur unter dem Gesichtspunkt des völkerkundlichen
Jnteresses zu begreifen, sondern vertraut und ganz selbstverständlich. Bei ihnen ist
alles Menschlichkeit unseres Zeitalters. Jhre Gestalten leiden auch am andern.
Menschen, sie verstricken sich auch in die vielerlei Konslikte der Gesellschast aller
Klassen und Ränge, aber vor allem leiden sie an sich selber, an ihrem Dasein und
ihrer immer angstvollen, unruhigen Seele schlechthin.
Jch nenne Jhnen noch einmal die prachtvolle GesamtauSgabe des großen Erzäh-
lers Leßkow (Becksche Verlagsbuchhandlung), ich nenne die im Malikverlag
soeben herauSgekommene Ausgabe der Werke Maxim GorkiS, von der mir der
herrliche „Matwej Koshemjakin", die „Mutter", sowic die „Erinnerungen an
Zeitgenossen" vorliegen. Sie sind ausgezeichnet überseht, und es ist übcr das Wesen
des russischen Menschen unserer Tage hundertmal mehr darauS zu erfahren als
aus allen Reiseberichten der lehten zehn Jahre zusammen. Jn diesem Znsammen-
hang nenne ich Jhnen weiter die sehr wohlseile neue Übertragung des „Jdioten"
von Dostojewski bei Knaur, serner den abenteuerlichen Roman Jlja Ehren-
burgs „Die Liebe der Jeanne Ney" im Rhein-Verlag, der sich sreilich zuweilcn
der Kolportage nähert, aber außerordentlich spannend und anschaulich erzählt ist.
Auch der „Heilige Teufel, Rasputin und die Frauen" Fülöp Mi'IIers (Ver-
lag Grethlein L Co.) ist eigentlich ein Roman, virtuos vorgetragen, mit einem er-
schütternden Material an Abbildungen, eine der erstaunlichsten Verössentlichungen
zur Geschichte dieses großen und wunderlichen Volkes, ja znr Geschichte unseres
Zeitalters überhaupt. Jn diesem Zusammenhang sei auch der ebenfalls bei Greth-
186
schollener Gestalt und Zeit, das Geltenömachen verblichenen Gesetzes, vergessenen
Brauches, und damit sinö notwendig auch die Menschen — mit der höchsten Kunst
herausbeschworene Schatten. Überrascht Sie das? Jch gebe Jhnen zu, daß sie m
vielem lebendig erscheinen, ja sie leuchten und glänzen oft von Farbe, sie prangen
sörmlich von Fleisch und Blut — unö wir lassen uns gerne vollends täuschen und
bezaubern. Auch werden sich die Gesühle einer liebenden, einer schwangeren und
einer betrogenen Frau oder auch einer betrügenden Frau kaum verändern, solange
diese Welt noch besteht, und in diesem Sinne erscheint uns daS Weibliche eigentlich
cwig. Aber der Mann? Für ihn ist die Liebe ja wohl nur ein Stück dieser Welt
von vielen andern auch (wenn er einer ist), und darum ist die Welt für ihn wandel-
bar, und in dieser kann allerdingS, was heute eine Unehre ist, morgen des Landes
so der Brauch und übermorgen gar ein Ruhm sein. Das ist ein Einwand, der sich
gegen alle historischen Romane im „echten" Kostüm immer schärser meldet, und
ich wollte ihn hier nicht verschwiegen haben. Zürnen Sie mir, wenn ich die Schristen
der Undset nun zur allerbesten UnterhaltungS-Lektüre zähle, die sich überhaupt
denken läßt? Wo sie Männer und Weiber zu einander oder auch von elnander
sührt, wo Liebe unö Besessenheit das Wort haben und die Jugend und das Alter
einer Leidenschast beschrieben werden sollen, da ist sie eine echte Dichterin, aber
dic gesellige Welt, in der das geschieht, bleibt ost Komparserie im Kostüm, und so
will sich mir nicht immer ein Ganzes herstellen. Bleibt aber deö Wahren und mit
Wahrheit Erschütternden immer noch die schönste Fülle, nnd so werden Sic di«
Schristen der Undset unter Jhren Geschenken nicht vergessen.
V.
Wie ganz anöers erzählen die Russen! Nur selten begeben sie sich in verschollene
Tracht und verschollene Zeit, immer erzählen sie von Rußland, von ihrer Zeit, von
ihren nächsten Nachbarn, ihrer Stadt und ihrem Dors, mit aller Realistik, die
vor nichts Menschlichem erschrickt und nichts verschweigt, und doch ist auch der
Fremde bei ihnen sogleich zu Hause, und es erscheint ihm nichts mehr eigentlich
wunderlich oder gewissermaßen nur unter dem Gesichtspunkt des völkerkundlichen
Jnteresses zu begreifen, sondern vertraut und ganz selbstverständlich. Bei ihnen ist
alles Menschlichkeit unseres Zeitalters. Jhre Gestalten leiden auch am andern.
Menschen, sie verstricken sich auch in die vielerlei Konslikte der Gesellschast aller
Klassen und Ränge, aber vor allem leiden sie an sich selber, an ihrem Dasein und
ihrer immer angstvollen, unruhigen Seele schlechthin.
Jch nenne Jhnen noch einmal die prachtvolle GesamtauSgabe des großen Erzäh-
lers Leßkow (Becksche Verlagsbuchhandlung), ich nenne die im Malikverlag
soeben herauSgekommene Ausgabe der Werke Maxim GorkiS, von der mir der
herrliche „Matwej Koshemjakin", die „Mutter", sowic die „Erinnerungen an
Zeitgenossen" vorliegen. Sie sind ausgezeichnet überseht, und es ist übcr das Wesen
des russischen Menschen unserer Tage hundertmal mehr darauS zu erfahren als
aus allen Reiseberichten der lehten zehn Jahre zusammen. Jn diesem Znsammen-
hang nenne ich Jhnen weiter die sehr wohlseile neue Übertragung des „Jdioten"
von Dostojewski bei Knaur, serner den abenteuerlichen Roman Jlja Ehren-
burgs „Die Liebe der Jeanne Ney" im Rhein-Verlag, der sich sreilich zuweilcn
der Kolportage nähert, aber außerordentlich spannend und anschaulich erzählt ist.
Auch der „Heilige Teufel, Rasputin und die Frauen" Fülöp Mi'IIers (Ver-
lag Grethlein L Co.) ist eigentlich ein Roman, virtuos vorgetragen, mit einem er-
schütternden Material an Abbildungen, eine der erstaunlichsten Verössentlichungen
zur Geschichte dieses großen und wunderlichen Volkes, ja znr Geschichte unseres
Zeitalters überhaupt. Jn diesem Zusammenhang sei auch der ebenfalls bei Greth-
186