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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1929)
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Halm, August: Autor und Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0290

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dieses mit ausdrücklicher Beziehung auf die, sei es von feindlicher, sei es von
freundlicher Seike gekommene Kritik seiner erften Symphonie — welche Kritik
ihm also offenbar in gewissem Maß berechtigt erfchienen sein mnß. Nun gibt
es ja Bruckner-Verehrer, denen gerade die erfte Symphonie nicht weniger
Leuer ift als diese oder jene der späteren. Auch die so denken, werden mit mir
darin übereinsiimmen, daß die Musik sich in der zweiten Symphonie nicht
so bis znm Eindruck von Anstrengung verausgabt. Micht etwa reserviert
möchte ich deren Haltung nennen; doch finde ich, daß hier noch mehr Kraft in
Reserve gehalten wird und daß sie deshalb überlegener wirkt. Für mich be-
deutet sie also ein Mehr von Können des Meisiers, und wenn dieser späker
die Musik wieder zu gewaltigsien Entladungen besiimmt, so erfcheint mir das
als auf einer höheren geisiigen Ebene sich vollziehend: ersi nach der zweiten
Symphonie, zum Teil fchon m dieser selbst, bewegt sich Bruckners Musik
in der Region des Mythos. Dem will ich hinzufügen, daß ich sie diese Region
in der achken Symphonie, oder doch in großen Teilen derselben, wieder ver-
lassen, sodann in der neunten um so siärker, bewußter und gläubiger wieder-
gewinnen sehe. Jch meine also, daß Bruckner, falls er wirklich bei der zweiken
Symphonie einer kritifchen Anregung von außen nachgab und sich in seiner
musikalischen Haltung von andern beftinnnen ließ, dies nicht nur zum Borkeil
dieses cinzelnen Werks getan hak, sondern daß dieses Sich-Befcheiden ihn
zugleich für eine höhere Aufgabe als die mik seiner ersien Symphonie ge-
sielltc frei gemacht hat; daß die Schule der höchsien Klarheik, der er sich unker-
zog, ihn gekräftigt und ihm für später ein noch höher gerichketes Wollen
erlaubt hat. Es hätke dabei nichts zu sagen, wenn auch diese zweite Sym-
phonie von vielen Musikern und Laien als immer noch zu kompliziert, über-
fchwänglich, ja überladen empfunden wurde; denn Bruckner selbsi hakte sich mit
ihr spürbar gelöst und gelockert. Kurz: diejenige Rücksicht auf dcn Zuhörer,
welche den Autor das höchsie ihm crlaubte Maß von Einfachheik und Ver-
siändlichkeit der Sprache suchen heißk, dienke hier nicht nur und nichk einmal in
ersier Linie den Empfangenden, sondern auch und vor allem der Kunsi selbsi.
Und nun gilt es zu erwägen, daß gerade diese 2lrt von Einfluß des Zuhörers
auf den 2lutor, dic segensreichsie und vielleicht die einzig segensvolle 2lrt von
Einfluß, heute völlig ausgefchaltet isi! Oder gäbe es irgend etwas von Lln-
klarheit und Ilnbotmäßigkeit, das man sich heute nichk unterwürfig gefallen
ließe? — Wofcrn nicht vollends gar zu sagen wäre, daß man Klarheit und
höfliche Manicren in der Kunsi heute als Schwäche verdächtigt und nichts
Nechtes mehr mit solchen Eigenfchaften anzufangen weiß.

Wenn ich dahcr von dem und jcnem höre, daß er als Künftler auch nicht die
leisesie RücksichL auf das Publikum nimmt, daß er womöglich noch ein
übriges Lue, um nicht zu gefallen; wenn ich dann dabei noch den Eindruck habe,
daß man hierin etwas wie eine heroifche Haltung sieht: so lache i'ch zwar
nicht, bin aber manchmal versucht, zu lachen. Denn auch den ehrlichst gefühltcn
Ernsi dieser Stellungnahme anerkenncnd, und dabei voraussehend, es sei
nichts von Pose dabei und keine Eitelkeit laufe mit unter: also selbst im besien
Fall kann ich die Latsächliche Komik in dieser Situation nichk verkennen; eine
Komik freilich, die solcher Gesinnung zwar durchaus nicht an sich fchon an-
haftek, die ihr aber von der heutigen Zeit und dem Charakter des heukigen

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